Österreichs Corona-Politik: Erfolgreiche Erfolglosigkeit

Gesundheits- und Sozialminister Rudolf Anschober. Bild: BKA / Christopher Dunker

Die österreichische Bundesregierung geht bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie einen eigentümlichen Sonderweg, der viel mit Politik und wenig mit Wissenschaft zu tun hat.

Die Corona-Zahlen steigen in Österreich und dies teilweise beachtlich. Dennoch werden jetzt weitere Öffnungsschritte verkündet, wenn auch mit einer gewissen rhetorischen Finesse, denn letztlich sind alle Aufsperrvorhaben „Ziele“. Bei der mehrfach verschobenen Pressekonferenz am 1.3.2021 in Wien zeigte sich der Bundeskanzler Sebastian Kurz sehr zufrieden mit dem bisher Erreichten. Die Betrachter mussten sich da schon etwas die Augen reiben. Zuvor wurde eine Inzidenz von 50 als Maß für weitere Öffnungen ausgegeben. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als sich das Land bei einer Inzidenz von ungefähr 100 befand. Heute liegt man bei 160. In konkreten Zahlen bedeutet dies, statt der anvisierten 600 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner sind es derweil über 2000, die Tendenz steigend. Allerdings und dies verkündet der Kanzler mit dem ihm eigenen Optimismus, sei Österreich längst Testweltmeister. In diesem Spin liegt die unausgesprochene Logik des Donald Trump verborgen: Wer viel testet, hat viele positive Testergebnisse, die deshalb nicht ernstgenommen werden müssen, weil sie ja dem vielen Testen geschuldet sind.

Karl Valentin im Expertenstab

Ganz von der Hand zu weisen ist dies selbstverständlich nicht. Tatsächlich funktioniert das breite Testen in Österreich beachtlich gut und reibungslos. Die Bevölkerung kann aus einem breiten Angebot aus Teststraßen für Gesunde und sogenannten „Schnupfenboxen“ wählen, bei denen Menschen ihre Symptome untersuchen lassen können auf eine mögliche Covid-Infektion. In den Apotheken können Gratis-Selbsttest abgeholt werden, allerdings nur für diejenigen, die sich bei der elektronischen Sozialversicherung ELGA haben eintragen lassen. Corona ist schließlich keine gute Zeit für Datenmuffel und Überwachungsskeptiker. Außerdem werden die zur Schule zurückgekehrten Kinder und Jugendlichen zwei Mal die Woche getestet, bald vielleicht sogar drei Mal.

All das ist fraglos ein enormer logistischer Erfolg, nur stellt sich niemand der politischen Entscheider offen die Frage, was die Sichtbarkeit des steigenden Infektionsgeschehens bringen soll, wenn dies folgenlos für die politischen Entscheidungen bleibt.

Epidemiologien hatten in den Tagen zuvor eindringlich vor Öffnungsschritten gewarnt und eher neue Verschärfungen empfohlen, weil nach der Öffnung der Geschäfte und einiger körpernaher Dienstleistungsbetriebe die Zahlen wieder nach oben geschnellt waren. Unter anderem warnte die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, die selbst Infektbiologin und Ärztin ist. Ihr Ruf wurde nicht einmal in der eigenen Partei vernommen. Die roten Landeshauptleute aus Wien, dem Burgenland und Kärnten hatten der Parteichefin nur mitzuteilen, dass die eigenen Forschungen an Volkesstimme ergeben hätten, dass die Leute mit Corona durch sind und in die Schanigärten wollen.

Seit dem neuen Jahr hat die Bundesregierung in Österreich ihre Taktik geändert und lädt zur Entscheidung bei den Coronamaßnahmen nun auch die Opposition ein. Deswegen sind die jetzt verkündeten Öffnungsschritte für Regierung von Sebastian Kurz relativ risikoarm, denn er kann schließlich darauf verweisen, dass „alle“ mitmachen.

Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig fasste die Taktik des Aufsperrens so zusammen, dass man sich die Gastronomiebetriebe als „Verbündete“ vorstellen müsse, denn schließlich könnte dort das Zusammentreffen kontrolliert stattfinden, also mit Maske und Abstand, während es sonst bei warmen Wetter unkontrolliert im Privatem vollzogen würde. Ansonsten verblieb der mächtige SPÖ-Politiker mit Karl Valentins Weisheit, dass Prognosen schwierig seien, schließlich beträfen sie die Zukunft. So sieht verantwortungsvolle Politik im Jahr zwei der Corona-Krise aus, man kann die Sache nur mehr mit Humor nehmen.

Knackpunkt Regionalität

Gesundheitsminister Rudi Anschober von den Grünen war offenbar gegen weitere Öffnungsschritte gewesen, hatte sich aber gegen die mächtigen Bundesländer nicht durchsetzen können. Bei der Pressekonferenz musste er sich das Ergebnis der Verhandlungen schön reden. Er selbst war schon seit langem mit seiner Rhetorik am Ende, nachdem er in die berüchtigte Direktive gestolpert war, das Jahr bestünde aus 52 „entscheidenden“ Wochen. Schließlich hatte er immer wieder verkünden müssen, dass nun die schwierigste und wichtigste Zeit bevorstünde.

Anschober blieb sich auch Anfang März 2021 treu und meinte, auch die Wochen bis Ostern seien wieder mal die wichtigsten in der Pandemie überhaupt. Die schwierige Güterabwägung illustrierte er am Schulsport. Den Kindern und Jugendlichen müsse wieder Möglichkeit zur Bewegung gegeben werden, denn  dies sei sowohl für den Körper, als auch für die Seele wichtig. Ab Mitte oder Ende März wird also wieder gesportelt, ohne Turniere und ohne Zuschauer, aber immerhin.

Mit dem genauen Zeitpunkt der Öffnungen wird wieder Regionalität in Österreich eingeführt. Die Infektionszahlen in dem westlichsten Bundesland Vorarlberg sind relativ gut, liegen bei einer Inzidenz von etwas über 70 und steigen nur leicht. Deswegen wird das Bundesland zum Testlabor für die Öffnungsschritte und sperrt schon Mitte März, zwei Wochen vor dem restlichen Österreich, auf. Landeshauptmann Markus Wallner von der ÖVP nimmt diese Avantgarde-Aufgabe freudig in Angriff und strahlt Zuversicht aus, dass das Land die Öffnungen mit viel Um- und  Vorsicht bewältigen würde.

Bedenken, dass diese Regionalität in Österreich nicht funktioniert habe, werden nicht zugelassen. Die frühere „Corona-Ampel“, die Bezirke mittels eines Farbschemas in ihr relatives Gefährdungspotenzial einteilen sollten, hatte wenig Wirkung gezeigt. Nun aber betont der Bundeskanzler Kurz, mit eigentümlicher Logik, seien die Öffnung sicher, denn schließlich würden die Wiener nicht sieben Stunden nach Vorarlberg fahren, um dort in den Gastgarten zu gehen. Sicherlich, was der Bundeskanzler aber übersieht, zwischen Wien und Vorarlberg erstreckt sich das Land Österreich und dies besteht aus der nahtlos aneinandergereihten, jeweiligen Nachbargemeinde. In der könnten sich die Menschen sehr wohl dazu entschließen, wenige Kilometer nach Westen zu fahren, um die dortigen größeren Öffnungsschritte zu genießen. Es ist weitgehend unklar, wie dies verhindert werden soll.

Klar ist hingegen, dass die neuen Öffnungsmaßnahmen ein einziges Politikum sind. Irgendwie handeln alle gegen ihre Überzeugungen und gegen ihr Wissen, wollen sich aber unbedingt durchsetzen. Gerade die Bundesländer kämpfen hier gegeneinander, weil sie hohe Infektionszahlen als Imageschaden sehen. Deswegen wollen alle jetzt öffnen und vernebeln gerne die Details.

Es hätte ja die Frage gestellt werden können, weshalb es im Westen so relativ gut aussieht, während der Osten, also Wien und Niederösterreich schon wieder auf eine Inzidenz von 200 zusteuern. Einer der Gründe könnte sein, dass im Osten die Schulen eine Woche früher nach den Semesterferien öffneten. Es ist bekannt, dass das Infektionsgeschehen unter den Jüngeren viel stärker geworden ist. Deswegen dürfte sachlich erörtert werden, warum dies, bei gleichzeitigen Impferfolgen bei den Älteren (Österreich impft bald 30.000 Menschen am Tag), durchaus ein Faktor ist, der hoffnungsfroh stimmt. Allerdings stimmen alle Beteiligten auch darin überein, dass die Situation zu unübersichtlich und viel zu „volatil“ sei. Letztlich könne beispielsweise niemand die weiteren Mutationen und deren Auswirkungen absehen. Da verlässt man sich lieber auf die harten Fakten der mächtigen Lokalpolitik und schaut, dass alle Landeshauptleute ihre jeweilige Erfolgsgeschichte bekommen. Die nächsten Wochen werden zeigen, wie dieses hochriskante Spiel weitergeht. Vielleicht geht’s ja gut aus.

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