Auch unter Biden wird Israel vor dem Internationalen Strafgerichtshof geschützt

 

ICC in Den Haag. Bild: Roel Wijnants/CC BY-NC-2.0

Trump hatte Sanktionen gegen den ICC verhängt, die Biden beibehalten hat. Jetzt stellen sich die USA, die mit der EU Russland wegen Navalny sanktionieren, gegen eine Ermittlung des ICC über Kriegsverbrechen im Westjordanland und in Gaza.

Gerade haben die EU und die USA gegen russische Staatsvertreter Sanktionen unter Berufung auf die Menschenrechte verhängt, die durch die Inhaftierung und Verurteilung von Nawalny wegen Verletzung der Bewährungsauflagen in einer umstrittenen Verurteilung wegen eines angeblichen Betrugs gerechtfertigt werden. Die US-Regierung verhängt zudem Sanktionen gegen mutmaßlich an dem Nervengiftanschlag auf Nawalny beteiligte Personen.

Letztes Jahr hatte die Trump-Regierung dem Internationalen Gerichtshof (ICC) nicht nur gedroht, sondern an dem Verfahren Beteiligte wie die Generalstaatsanwältin Fatou Bensouda mit Einreiseverboten und Wirtschaftssanktionen belegt, die Ermittlungen darüber eingeleitet hatten, ob Taliban und afghanische Sicherheitskräfte, aber auch US-Soldaten und Geheimdienstagenten in Afghanistan und in CIA-Foltergefängnissen in Europa Kriegsverbrechen (Folter, Vergewaltigung, sexuelle Gewalt und Verletzungen der persönlichen Würde) begangen haben. Man werde „mit allen Mitteln“ gegen den ICC vorgehen, warnte der damalige Sicherheitsberater John Bolton.

Das ist auch auf dem Hintergrund bedeutsam, dass die USA unter George W. Bush alles unternommen haben, um die Einrichtung des ICC zu verhindern, dem sie nicht beigetreten sind. In den USA wurde auch ein Gesetz 2002 verabschiedet (American Service-Members‘ Protection Act), das gegen den ICC die Anwendung auch von militärischer Gewalt gestatten würde, wenn dort US-Bürger oder solche von alliierten Staaten, die im staatlichen Auftrag gehandelt haben,  inhaftiert und gegen sie ermittelt würde.

Auch Obama veränderte die Haltung gegenüber dem ICC nicht

Menschenrechte werden nur dann beschworen, wenn es den politischen Interessen dient, etwa weltweit Kriege zu führen. Donald Trump hat das überdeutlich gemacht, als er vier Blackwater-Soldaten nach dem Vorgehen gegen den ICC begnadigte, die 2007 Kriegsverbrechen begangen hatten, als sie im Irak wild auf Autos und Busse schossen und Zivilisten töteten. Hier und auch etwa im Fall des Navy SEAL Edward Gallagher, der in Mosul willkürlich Zivilisten erschossen hatte, handelte Trump gegen das Pentagon.

Die Drohungen seitens der USA kamen im ICC an, der wohl zu wenig Unterstützung bei den europäischen Mitgliedern erfuhr. Im April letzten Jahres lehnte der ICC den Antrag der Generalstaatsanwältin Bensouda ab. Das würde „den Interessen der Justiz nicht dienen“, so die Begründung, weil das Verfahren letztlich aussichtslos sei. Im Dezember 2020 wurden Ermittlungen gegen Großbritannien eingestellt. Britische Soldaten hatten im Irak Kriegsverbrechen (willkürliche Morde, Folter, unmenschliche Behandlung, Vergewaltigung und andere sexuelle Gewalt und Vergehen gegen die menschliche Würde) begangen. Zwar sei niemand in Großbritannien verurteilt worden, aber man habe trotz erheblicher Bedenken nicht nachweisen können, dass die britischen Behörden etwas vertuschen wollten. Damit waren Präzedenzfälle gesetzt, die dem sowieso unter Kritik stehendem ICC weiter schadeten, weil dieser bislang praktisch nur gegen Afrikaner vorgegangen war. Südafrika, Burundi und Gambia, hier war Benaouda Justizministerin, haben den Austritt angedroht, Burundi ist ausgetreten.

Bemerkenswert ist übrigens, dass Barack Obama es nicht schaffte oder nicht wollte, dem ICC beizutreten oder zumindest den American Service-Members‘ Protection Act abzumildern oder abzuschaffen. Unter seiner Präsidentschaft wurde der ICC unterstützt, wenn es etwa um afrikanische Kriegsverbrecher ging. Joe Biden hat es bislang nicht geschafft oder war Unwillens, auch nur die Sanktionen gegen den ICC zu beenden, will aber Menschenrechte und Multilateralismus zu Kernthemen der Außenpolitik machen und überhaupt die „amerikanischen Werte“ hochhalten. Schon als Fatou Bensouda Anfang Februar ankündigte, Ermittlungen zu möglichen, von Israelis und Palästinensern wie der Hamas begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Westjordanland und in Gaza einzuleiten, erklärte man im Außenministerium, der ICC solle nur bei den Ländern ermitteln, die dem Rom-Statut beigetreten sind oder die vom UN-Sicherheitsrat benannt wurden.

ICC ermittelt wegen Kriegsverbrechen gegen Israelis und Palästinenser

Am Mittwoch hat nun Fatou Bensouda, die aber nur noch bis Juni am Amt sein wird,  eine Untersuchung „über die Situation in Palästina“ angekündigt. Dabei geht es vor allem um den Gaza-Krieg 2014 und den Siedlungsbau im besetzten Westjordanland, was nach dem ICC ein Kriegsverbrechen sein kann. Palästina sei ein Staat, auf das sich die Rechtsprechung des ICC erstrecke, auch wenn die Frage, ob Palästina völkerrechtlich ein Staat ist, ungeklärt ist. Die UN-Generalversammlung hatte 2012 mit großer Mehrheit und unter Ablehnung der USA Palästina als Staat anerkannt. Danach ist Palästina 2015 dem ICC beigetreten.  Die Ermittlungen würden unparteiisch erfolgen, die Generalstaatsanwältin verwies darauf, dass sie bereits Ermittlungen gegen Israel mangels Beweisen eingestellt habe, um Vorwürfe zu kontern, der ICC sei antiisraelisch eingestellt. Untersucht werden die Entscheidungen der  politischen Entscheidungsträger, nicht der einzelnen Soldaten. Israel hat allerdings bereits Ermittlungen über das Vorgehen des Militärs in Gaza durchgeführt, was man von Hamas nicht sagen kann. Netanyahu könnte zum Angeklagten warden, auch der damalige Verteidigungsminister Moshe Ya’alon, der damalige IDF-Chef Benny Gantz und Kommandeure.

Das US-Außenministerium sagte prompt in einer Erklärung, dass die USA gegen die Entscheidung und von ihr „tief enttäuscht“ seien. Israel sei dem ICC nicht beigetreten, deswegen könne dieser nicht gegen Israel vorgehen. Die Palästinenser hätten keinen Staat, weswegen sie dem Rom-Statur und der Rechtsprechung des ICC  nicht beitreten können. Die USA würde dennoch weiter dafür eintreten, dass Gerechtigkeit und Verantwortung für internationale Kriegsverbrechen sichergestellt werden. Es gehe darum, Brücken zu bauen – was man aber nur dort macht, wo es politisch passt – und nicht „unilateral“ juristisch zu handeln, was nur die Konflikte verstärke und eine Zwei-Staaten-Lösung verhindere. Der wirklich Grund kommt am Schluss: „Wir werden unsere starke Verpflichtung für Israel und seine Sicherheit beibehalten, auch bei der Abweisung von Aktionen, die versuchen, Israel unfair anzugreifen.“

Israel sieht Antisemitismus am Werk

Der israelische Regierungschef Benjamin Netanyahu sieht in der Entscheidung des ICC erwartungsgemäß Antisemitismus, womit jede Kritik am Handeln der israelischen Regierung untergraben werden soll: Cancel Culture auf Regierungsebene. Aus dem israelischen Justizministerium hieß es zwar, dass der ICC politisch entschieden habe, aber dass man noch nicht wisse, ob man nicht doch mit im kooperiere. Kritisch ist neben der Frage des palästinensischen Staats, den Israel bislang verhindert hat, das Datum, ab dem die Situation untersucht werden soll. Die Untersuchung soll über Vorgänge ab dem 13. Juni 2014 gehen, einen Tag zuvor, waren drei israelische Jugendliche von Palästinensers entführt und ermordet worden, was dann nicht mehr Thema ist. Die palästinensische Regierung streitet ab, das Verbrechen ausschließen zu wollen. Hamas begrüßte die Entscheidung, auch wenn ihr Kriegsverbrechen vorgeworfen werden.

Israel reagiert übertrieben auf den ICC. Netanjahu sagte, dass „unsere tapferen Soldaten, die im Kampf gegen die schlimmsten Terroristen in der Welt, die ausdrücklich Zivilisten angreifen, jede Rücksicht nehmen, um zivile Opfer zu vermeiden, zu Kriegsverbrechern werden“. Und er greift tief in die Kiste, wenn er sagt, dass der Gerichtshof eigentlich gegen die Wiederholung der Naziverbrechen gegen Juden eingerichtet worden sei, nun „seine Waffen gegen den einen und einzigen Staat des jüdischen Volks wendet“. Das sei die einzige Demokratie im Nahen Osten, gegen Iran, Syrien und andere Diktaturen, die wirkliche Kriegsverbrechen begehen würden, gehe man nicht vor. Überdies sei der ICC ein „politisierter Kängaruh-Gerichtshof“, was immer das bedeuten soll.

Außenminister Gabi Ashkenazi übersteigert das noch einmal. Der ICC werden zu einem „Werkzeug inder Hand von extremistischen Akteuren und fördert Terrororganisationen und antisemitische Gruppen“. Dass Hamas die Entscheidung begrüßt hat, wird als „bester Beweis für ihren moralischen Wert“ betrachtet. Der Gerichtshof sei einseitig und habe jede Legitimität verloren. Israel werde alle Mittel einsetzen, um seine Bürger und Soldaten vor Strafverfolgung zu schützen.

Ähnlich wird das in Medienkommentaren behandelt und abgewehrt, nun wird der Staat Israel zum Objekt des Antisemitismus erklärt und damit jede Anklage abgewehrt: „While in the past, it was Jews all around the world who were persecuted in this way, today it is the Jewish nation that is being persecuted. And while not all those involved are doing it for anti-Semitic reasons, the purpose remains clear: to shame and delegitimize Israel in the eyes of the world.“

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