#MeToo in Griechenland

Verwickelt ist auch Regierungschef Kyriakos Mitsotakis. Bild: Screenshot aus YouTube-Video von gov.gr

Die Regierung steht unter Druck

Am Samstag wurde, rund 20 Tage nachdem die #MeToo Welle in Griechenland auch den Impresario des Nationaltheaters erfasst hatte, der von Premier Kyriakos Mitsotakis ausgewählte künstlerische Leiter des ehrwürdigen Schauspielhauses, Dimitris Lignadis, verhaftet. Die Vorwürfe gegen Lignadis sind heftig. Er soll mehrfach, und unter Ausnutzung seiner jeweiligen Machtposition, minderjährige Jugendliche vergewaltigt haben.

Der gut vernetzte Schauspieler und Regisseur war bisher Sprechtrainer für den Premier. Die Beziehung zwischen beiden Männern war offenbar so eng, dass Mitsotakis im Juli 2020, inmitten der griechisch-türkischen Krise in der Ägäis, mal kurz mit dem Militärhubschrauber von Antiparos nach Epidaurus flog, um einer Aufführung von Lignadis beizuwohnen. Gespielt wurde damals die Tragödie „die Perser“ des antiken griechischen Dichters Aischylos.

Unvermögen, eine Verkettung von Zufällen oder mittelbare Mitschuld?

Tragisch ist auch das gesamte Krisenmanagement der Regierung in der Causa Lignadis. Der Theaterstar, der sich öffentlich mehrfach als Gegner linker Politik profiliert hatte, war direkt nach den Parlamentswahlen, aus denen Mitsotakis als Premier hervorging, ins Amt berufen worden. Eigens dafür wurde eine Ausschreibung für die Stelle gestoppt. Lignadis erhielt, so erklärte die frische Kulturministerin Lina Mendoni im Parlament, sein Amt aus „Gründen des nationalen Interesses“ ohne die übliche Stellenausschreibung.

Zu diesem Zeitpunkt hätte Mendoni wissen müssen, dass Lignadis in der Spielzeit 2012-2013 als Schauspiellehrer vom Nationaltheater entlassen wurde, weil „gewichtige Anschuldigungen gegen ihn vorlagen“. Mendoni war seinerzeit Generalsekretärin des Kulturministeriums, der übergeordneten Aufsichtsbehörde des Nationaltheaters. Lignadis wurde in der Vergangenheit mit ähnlichen Anschuldigungen auch von weiteren Posten als Lehrkraft entfernt. Dabei wurden auch sexuell ungebührliche Verhaltensweisen angeprangert.

Gegen Lignadis hatte 2011-2012 die Polizei im Zusammenhang mit Päderastie-Vorwürfen aus der Nachbarschaft ermittelt. Diese Ermittlungen wurden ohne Angaben von Gründen im August 2012 unter der neuen Regierung von Antonis Samaras eingestellt. Aktuell wird in den griechischen Medien auch ein weiterer Fall mit dem Regisseur als Hauptdarsteller diskutiert. Er wurde 2002 in seiner Wohnung bei einer Messerattacke lebensgefährlich verletzt. Ohne dass Polizei oder Rettungswagen gerufen wurden, wurde er damals in Krankenhaus gebracht und notoperiert.

In späteren Interviews schilderte Lignadis die Situation so: „Ich kenne keine weiteren Details zu dieser Geschichte, ich kenne keine Details, die jemand hätte hören wollen, aber ich weiß, dass mein Leben in großer Gefahr war. Sobald ich die Intensivstation verlassen hatte, ging ich auf eine normale Station des Sotiria-Krankenhauses.“

Ein Täter wurde seinerzeit nicht ermittelt. In Schauspielerkreisen kursiert jedoch seit Jahren ein Gerücht, demzufolge Lignadis vom Vater eines Jungen, den er sexuell belästigt hatte, angegriffen wurde. Diese Gerüchte, zusammen mit frischen Anschuldigungen, kamen Ende Januar/Anfang Februar erneut an die Öffentlichkeit. Sie fielen im Zusammenhang mit der #MeToo-Welle, die Griechenland mit einiger Verspätung Anfang 2021 erfasste. Spätestens die Zeitungsberichte von Anfang Februar  hätten beim Kulturministerium und im Amt des Premierministers die Alarmglocken läuten lassen müssen. Die geschilderten Anschuldigungen und Gerüchte standen spätestens am 3. Februar in nahezu der gesamten griechischen Presse.

Stattdessen hielt Ministerin Mendoni eisern an ihrem Impresario fest. Sie ging sogar zum Gegenangriff über und verurteilte all jene, die ihre Stimme gegen Lignadis erhoben. Damit fuhr sie auch fort, nachdem sich am 5. Februar ein Opfer des Regisseurs mit einer detaillierten Schilderung seiner Vergewaltigung an die Presse wandte. Es folgten weitere, in der Presse veröffentlichte Anschuldigungen, die teilweise mit handschriftlichen Notizen des Regisseurs belegt werden.

Lignadis trat schließlich am 6. Februar von seinem Amt zurück. Für Mendoni war die Angelegenheit damit offensichtlich erledigt.

In der vergangenen Woche trat ein weiteres, heute vierzigjähriges Opfer im Fernsehen auf und erzählte, wie er vom 15. bis zum 18. Lebensjahr von Lignadis sexuell ausgenutzt und vergewaltigt wurde. Das Opfer hatte am 5. Februar Anzeige erstattet, obwohl das Vergehen gegen ihn nach griechischem Recht eigentlich verjährt ist. Seine Anwältin erklärte, dass dies dazu dienen solle, anderen Opfern mit noch nicht verjährten Fällen den juristischen Weg zu ebnen. Dies trat am vergangenen Donnerstag ein. Ein fünfundzwanzigjähriger Mann stellte Strafanzeige gegen Lignadis. Eine von Lignadis früheren Freundinnen bestätigte die Vorwürfe bei der Staatsanwaltschaft. Sie führte zudem an, dass Lignadis bei seinen Taten auch Betäubungsmittel eingesetzt haben soll. Ein Vorwurf, der, wenn er vor Gericht anerkannt wird, auch eine lebenslange Freiheitsstrafe für Lignadis bedeuten kann.

Eine bizarre Pressekonferenz

Mendoni rief für den vergangenen Freitag eine Pressekonferenz per Internet ein. Zugelassen wurden nur die beim Ministerium als ständige Berichterstatter akkreditierten Journalisten. Es war eine bizarre Veranstaltung, bei der die Ministerin von einer Souffleuse unterstützt wurde.

Sie stellte sich als Opfer dar, die vom Regisseur betrogen worden sei. Dabei habe dieser sein Schauspieltalent genutzt. Zur Beziehung des Regisseurs zum Premier meinte sie, dass der Regierungschef Lignadis nicht persönlich kennen würde. Sie beklagte sich, dass das Thema parteipolitisch ausgenutzt würde. Gleichzeitig aber warf sie der Vorgängerregierung und deren Anhängern vor, sie nicht gewarnt zu haben.

Mendoni sagte zudem, dass sie als Ministerin keine Staatsanwältin sei. Gleichzeitig brach sie das Schwert über Lignadis, den sie namentlich als „gefährlichen Menschen“ bezeichnete. Wie sicher sich der Regisseur fühlt, zeigt die Tatsache, dass er noch am Freitag ein Fernsehinterview gab und seinerseits betonte, dass andere über seine Gefährlichkeit urteilen müssten, nicht die Regierung. Zudem verwies er auf die Geschichte, welche ihn in ferner Zukunft rechtfertigen würde.

Zum Zeitpunkt des Interviews befand sich Lignadis Presseberichten zufolge in der Wohnung einer früheren Ministerin der PASOK und wurde von „einem bekannten Staatsrechtler beraten“.  Über den Sender MEGA TV wurde zudem verbreitet, dass Lignadis sich von Nichtregierungsorganisationen auch minderjährige männliche Flüchtlingskinder nach Hause schicken ließ. Vorgeblich tat er dies, um den Kindern Theaterunterricht zu geben. Gemäß MEGA TV hätten sich immer mehr Kinder später geweigert, noch einmal zum Schauspieler zu gehen.

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