Polen: „Alle Mann an Deck”

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Freitag im Universitätsklinikum in Breslau. Bild: gov.pl/CC BY-SA-3.0

In Polen steigt die Anzahl der positiven Tests in der dritten Welle und gleichzeitig der Druck der Regierung auf die Opposition, sich mit Kritik zurückzuhalten.

„Polen befindet sich in der schwierigsten Situation innerhalb der 13 Monaten der Pandemie“, sagte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der am Donnerstag mit FFP2-Maske zur Pressekonferenz erschien. Anlass der Ansprache war der rapide Anstieg von Neuinfektionen. Am Donnerstag wurden über 34.000 Neuinfektionen festgestellt, am Freitag waren es über 35.000, pro Tag werden derzeit 400 bis 500 Tote mit Covid-19 angezeigt.

Polen ist mit einer durchschnittlichen Testung von 838 Personen pro 100 000 Einwohner von Anfang Januar bis Mitte März das Schlusslicht innerhalb der 27 EU-Mitgliedsstaaten.  Die Verbreitung des Coronavirus ist somit weitaus fortgeschrittener; einige Mediziner glauben, dass eine vierte Welle in Polen aufgrund der durchinfizierten Gesellschaft gar nicht möglich sei.

Nachdem in der vergangenen Woche auch die Kinder von der Grundschule zu ihren erschöpften Eltern zurück geschickt wurden, müssen ab diesem Montag die Kindergartenkinder ebenfalls zu Hause bleiben. Ferner haben die Friseursalons, Kosmetikerinnen und Massagepraxen zu schließen.

Geschäfte bis auf Lebensmittelläden wurden bereits zuvor dichtgemacht. Die Maßnahmen sind ab Samstag für zwei Wochen bindend; den Messebesuch über Ostern wollte die nationalkonservative Regierung der überwiegend katholischen Bevölkerung nicht verwehren – es wurden allein die 15 Quadratmeter pro Gläubigen auf 20 hochgesetzt.

Die Situation in den Krankenhäusern gilt als dramatisch, vor allem die Wojewodschaft Masowien mit der Hauptstadt Warschau und die Wojewodschaft Schlesien  sind am meisten betroffen. In letzterer Region müssen Patienten in andere Bezirke transportiert werden. In Polen wird die britische Mutante B117 bereits auf über 80 Prozent geschätzt, aufgrund ihrer Gefährlichkeit sind nun mehr junge Menschen auf den Intensivstationen. Insgesamt verstarben während der Epidemie 51.884 von den bislang über 2,2 Millionen Infizierten.

Als eklatant gilt der Personalmangel „Wir können nicht mehr Ärzte und Krankenschwestern bekommen“, gestand auch Morawiecki ein. Denn die polnischen Pflegekräfte verfügen über eine anspruchsvolle Ausbildung und sind bei einer Anstellung mit einem Durchschnittseinkommen von umgerechnet nur etwas mehr als 1000 Euro brutto konfrontiert; viele der jüngeren emigrieren.

Morawiecki setzt darum auf das Impfen. Bereits über fünf Millionen der knapp vierzig Millionen Polen bekamen bereits die erste Dose. Gegenüber der EU will er eine Erhöhung der Lieferung erzwingen, um innerhalb eines Monats zehn Millionen Einwohner eine Impfung zu ermöglichen.

Impfskeptiker und Corona-Verdrossenheit

Zu schaffen macht der Regierung die hohe Anzahl der  Coronaskeptiker. Gerade einmal 51 Prozent der Polen wollen sich derzeit impfen lassen. Auch von den Polizisten sind es nach Umfragen allein 60 Prozent, sie werden von der Anti-Impforganisation „Stop Nop“ unterstützt, sich in dieser Frage keinem staatlichen Druck zu beugen. Allgemein hat sich schon lange eine Corona-Verdrossenheit breit gemacht. Viele Restaurants haben illegal offen, das Tragen von Masken gilt vielen als Schikane, via Facebook blüht der Handel mit falschen Testergebnissen.

Polen lockerte die Maßnahmen im Februar und hat es nach Kritikern versäumt, sie rechtzeitig wieder zurückzunehmen. Zu diesen Kritikern gehört auch der ehemalige Gesundheitsminister Bartosz Arłukowicz von der Oppositionspartei „Bürgerplattform“ (PO), der auch Maßnahmen des Lockdowns als zu passiv anprangerte und auf die mangelnden Tests hinwies.

Eine Äußerung, die auch als Widerstand gegen Morawiecki zu verstehen ist. Dieser hatte auf der Pressekonferenz die Opposition gewarnt, wenn sie sich der „Nationalen Solidarität“ nicht anschließen wolle, solle sie „die Situation nicht befeuern und verschärfen“ und „die Ärzte nicht stören“. Damit war wohl Kritik gemeint.

„Alle Mann an Deck!“ (direkt übersetzt: „Alle Hände an Deck“) forderte der Politiker von „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS).

Regierung und Opposition im Clinch

Morawiecki warf der Bürgerplattform, die von 2007 bis 2015 regierte,  auch vor, dass sie das Gesundheitssystem kommerzialisieren wollte, die privaten Kliniken würden nun zur Krisenbewältigung nichts beitragen.

Damit und nach dem Konter des Gesundheitsministers begann ein Schlagabtausch zwischen den beiden politischen Lagern. Die PO stellte auf einer Konferenz ihr Konzept eine Reform des Gesundheitssystems vor, das allerdings umgerechnet 21 Milliarden Euro kosten würde, und machte die Regierung für die „Dritte Welle“ verantwortlich.

„Attacke anstatt Zusammenarbeit“, kommentierten dies die Abendnachrichten des Staatsfernsehens. Die Toten würden auf den Straßen liegen, so ein PiS-Senator, würde die PO regieren. Die Medien des Regierungslagers weisen darauf hin, dass das Gesundheitssystem unter der PO-Regierung in einem fatalen Zustand gewesen sei.

Auf der anderen Seite argumenten regierungskritische Journalisten, dass die PiS die „Nationale Solidarität“ selbst nicht ernst nähme, da sie mit ihren Angriffen auf das liberale Lager seit Jahren die polnische Gesellschaft spalte.

Tatsächlich kann der seit Herbst 2015 regierenden PiS ein tief verwurzeltes Freund-Feind Schema unterstellt werden. Jaroslaw Kaczynski, Parteigründer und strategisches Oberhaupt der Regierung, agiert mittels Konflikt, unterbrochen von gelegentlichen „milderen Phasen“ vor den Wahlen, doch die stehen gerade nicht an.

Dafür beginnt nun eine Woche mit vermutlich weiter steigenden Zahlen, es folgt Ostern als möglicher Infektionsschub und es stellt sich so die Frage, ob sich die Regierung entscheidet, gegen die Opposition weiter so vorzugehen oder zu versuchen, einen Burgfrieden zu schließen. Die Verbreitung oder Nichtverbreitung des Virus ist zwar vor allem vom Verhalten der Menschen abhängig, doch die Strategien in der Krise verantworten die Nationalkonservativen, die ihren auf Konfrontation und Symbolpolitik ausgerichteten Stil ändern müssten.

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