Wer war Karima Baloch und was ist in Belutschistan los?

Seit der kolonialen Grenzziehung in Zentralasien nahm das Schicksal der Belutschen seinen Lauf. Seit Jahrzehnten werden sie vom pakistanischen Staat unterdrückt und drangsaliert, sogar im Exil – und im Schatten der Weltöffentlichkeit. Ein Beitrag von Emran Feroz*.

Vor Kurzem wurde die pakistanische Menschenrechtsaktivistin Karima Mehrab, hauptsächlich bekannt als Karima Baloch, in Toronto tot aufgefunden. Baloch galt als Kritikerin des pakistanischen Staates und setzte sich vor allem für die belutschische Minderheit im Land ein. Während die kanadische Polizei ein Fremdverschulden ausschließt, sind viele belutschische Aktivisten sowie die Verwandten des Opfers anderer Meinung, und zwar aus gutem Grund. (1)

Seit Jahrzehnten ist die südwestliche Provinz Belutschistan ein Unruheherd. De facto existiert der Belutschistan-Konflikt seit der Entstehung Pakistans. Damals wurden die kolonialen Grenzen, die einst mit Gewalt und Willkür gezogen wurden und ganze Völker voneinander getrennt haben, gefestigt.

Die „Durand-Linie“ ist mehr oder weniger Staatsgrenze zwischen Afghanistan und Pakistan (Britisch-Indien) seit 1893. International zwar anerkannt bis heute, bildet sie bei den ansässigen Ethnien keine wirkliche Grenze im westlichen Staatssinne. Bild: Ytpks896 (CC BY-SA 4.0)

Eine besondere Rolle spielt hierbei die sogenannte Durand-Linie, benannt nach Mortimer Durand, einem britischen Diplomaten. 1893 zogen die Briten diese unheilbringende Grenze, um ihr Kolonialgebiet vom Herrschaftsgebiet des damaligen afghanischen Emirs, Abdur Rahman Khan, abzutrennen. Da der Emir mit Hilfe der Briten an die Macht kam – er stürzte seinen Vetter in Kabul – unterzeichnete er im Gegenzug bereitwillig den Grenzvertrag. Das weiterhin bestehende Grenzproblem umfasst nicht nur die Gebiete der Paschtunen, sondern auch der Belutschen.

21.000 Verschwundene

In den letzten Jahrzehnten kam es in Belutschistan zu mehreren großen Aufständen, die allesamt von der Regierung in Islamabad brutal zerschlagen wurden. Obwohl die Region reich an Bodenschätzen ist, gehört die Bevölkerung zu den ärmsten Pakistans. Eine stabile Infrastruktur ist kaum vorhanden, genauso wenig wie Stromzufuhr und sauberes Trinkwasser. Achtundachtzig Prozent der Belutschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Während die Bodenschätze ausgebeutet werden, wird anderweitig kaum investiert. Lediglich der Sicherheitssektor boomt.

In den letzten Jahren schossen in der Region Militärgarnisonen regelrecht aus dem Boden, genauso wie zahlreiche Polizeistationen, die sich allein im Jahr 2009 in der Provinz um zweiundsechzig Prozent erhöht hatten. Abgesehen davon agieren paramilitärische Gruppierungen, die im Interesse Islamabads handeln und Jagd auf belutschische Aktivisten und Politiker machen. Berichten zufolge gelten ganze 21.000 Menschen als vermisst. (2)

Karima Baloch. Bild: Patrika News (CC BY 3.0)

Und immer wieder tauchen die Leichen einiger Verschwundener auf, meist übersät mit grausamen Folterspuren. Obwohl Islamabad die Morde verurteilt und immer wieder Untersuchungen angekündigt, gehen Beobachter davon aus, dass auch Balochs Ermordung auf das Konto von Gruppierungen geht, die der Regierung oder dem pakistanischen Geheimdienst – kurz gesagt, dem sogenannten Establishment – nahestehen.

Durch dieses Klima der Angst sowie durch die permanente Unterdrückung öffnete sich ein Vakuum für militante Gruppierungen. Mittlerweile greifen immer mehr junge Belutschen zu den Waffen. Friedliche und demokratische Mittel betrachten sie als gescheitert. In den letzten Jahren machten separatistische Gruppen wie die „Balochistan Liberation Army“ (BLA) oder die „Baloch Liberation Front“ (BLF) mit Bombenattentaten und brutalen Anschlagsserien auf sich aufmerksam. Getötet wurden dabei auch zahlreiche Zivilisten.

Im Gegensatz zu anderen militanten Gruppierungen in Pakistan, etwa den pakistanischen Taliban (TTP), sind die BLF, die BLA und andere Belutschen-Gruppen nicht religiös, sondern nationalistisch und säkular, teils auch marxistisch, eingestellt. Dies könnte auch der Grund dafür sein, warum sie in den westlichen Medien keine Schlagzeilen machen.

Geopolitische Machtspiele

Regionale Akteure, denen Pakistan ein Dorn im Auge ist, versuchen seit Langem, aus dem Konflikt Profit zu ziehen und ihn zu beeinflussen. In den 1980er Jahren wurden die Belutschen aufgrund der amerikanisch-pakistanischen Zusammenarbeit im Laufe der sowjetischen Besatzung Afghanistans von der UdSSR gefördert. Gegenwärtig gehört Indien, der ewige Erzfeind Pakistans, zu den größten Gönnern einer belutschischen Unabhängigkeit. Der pakistanische Geheimdienst Inter-Services Intelligence (ISI) beschuldigt die indische Regierung schon seit geraumer Zeit, die militanten Belutschen-Gruppen aktiv zu unterstützen und in Trainingslagern auszubilden.

Der gleiche Vorwurf wird auch von der ISI gegen Afghanistan erhoben. Vor allem Ex-Präsident Hamid Karzai soll den Belutschen gegenüber freundlich gesinnt gewesen sein. Abgesehen davon ist es kein Geheimnis, dass Belutschen-Führer in den letzten Jahrzehnten in Kabul immer wieder einen sicheren Unterschlupf fanden. Die historische Verbundenheit afghanischer Nationalisten, die die Durand-Linie bis heute nicht anerkennen und Belutschistan immer noch als illegal besetztes Land betrachten, spielt diesbezüglich sicherlich eine große Rolle. Abgesehen davon machen sowohl Indien als auch Afghanistan Pakistan für die meisten Missstände im Land – insbesondere den Terrorismus – verantwortlich und haben starkes Interesse an einer Destabilisierung.

Auch China spielt in Belutschistan eine bedeutende Rolle. Die chinesische Regierung hat es vor allem auf die Ressourcen der Provinz, etwa Gold und Kupfer, abgesehen und sich zahlreiche Ausbeutungsrechte gesichert. Des Weiteren ist die Hafenstadt Gwadar am Arabischen Meer von enormer strategischer Bedeutung und soll für die Energieversorgung Chinas in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Allein in den Bau des Hafens hat Peking rund 200 Millionen Dollar investiert.

Weitere Investitionen in Milliardenhöhe wurden bereits vereinbart. Des Weiteren wird  ein chinesischer Marinestützpunkt errichtet, der bereits jetzt für massiven Aufruhr sorgt. Belutschische Politiker und Aktivisten sprechen mittlerweile von einer chinesischen Kolonialisierung, von der nicht die bitterarme Provinz, sondern das pakistanische Establishment profitieren wird. Aufgrund des zunehmenden Einflusses wurden chinesische Firmen in Belutschistan immer wieder zum Ziel von Anschlägen. (3)

Der Unabhängigkeitskampf der Belutschen tobt jedoch auch anderswo. Im Iran, wo rund 1,5 Millionen Belutschen leben, herrscht eine ähnliche Situation. Auch in der dortigen Belutschen-Provinz (Sistan und Belutschistan) haben sich militante Gruppen organisiert, um die Regierung in Teheran zu bekämpfen. Was hinzu kommt, ist die Tatsache, dass der Konflikt im Iran auch sektiererisch aufgeladen ist. Die Belutschen werden nämlich nicht nur als ethnische Minderheit betrachtet, sondern auch als ein Teil der sunnitischen Minderheit, die sich der schiitischen Herrschaft unterwerfen muss.

„Die Ermordung von Verrätern ist legitim“

Auch im Iran wird der Konflikt geopolitisch ausgenutzt. Hier spielen allerdings ganz andere Akteure eine Rolle. So wurde vor einiger Zeit bekannt, dass „Jundallah“, eine militant-salafistische Gruppierung, die vorgibt, alle Sunniten im Iran zu repräsentieren und hauptsächlich vom iranischen Belutschistan aus operiert, nicht nur von Saudi-Arabien, sondern auch vom israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad sowie von der CIA unterstützt wurde. Gleichzeitig wird die Gruppierung von den USA als Terrororganisation, die Verbindungen zu Al-Qaida pflegen soll, angeführt. (4)

Diese Erkenntnis hat für Furore gesorgt, als sie aufgedeckt wurde. Dies lag allerdings vor allem daran, dass einige Journalisten „Jundallah“ mit einer gleichnamigen pakistanischen Gruppierung, die dem IS die Treue geschworen haben soll, verwechselten.

Die Rolle Pakistans macht dabei ein weiteres Mal deutlich, wie paradox Geopolitik sein kann. Während man zu Zeiten des Schah-Regimes gemeinsam gegen die Belutschen in Pakistan und im Iran vorging, wurden in den letzten Monate die Vorwürfe lauter, dass Pakistan „Jundallah“ in einem gewissen Maße unterstütze, um Teheran vor Probleme zu stellen. Währenddessen verschwinden in Beluschistan und anderswo weiterhin Menschen wie Karima Baloch. Menschen, die als „Verräter“ betrachtet werden und deren Ermordung auch im Ausland legitim sei, wie es Pakistans Ex-Präsident Pervez Musharraf einst behauptete. Baloch lebte seit 2015 in Kanada, wo ihr Asyl gewährt wurde. Zahlreiche andere belutschische Aktivisten leben im westlichen Exil – und fürchten weiterhin um ihr Leben.

 

*Emran Feroz, geboren 1991, arbeitet als freier Journalist mit Fokus auf Nahost und Zentralasien, unter anderem für Die Zeit, taz, Al Jazeera und die New York Times. Er berichtet regelmäßig aus und über Afghanistan und den US-amerikanischen Drohnenkrieg und hat mit „Tod per Knopfdruck“ (2017) ein Buch darüber geschrieben. Feroz ist Gründer von „Drone Memorial“, einer virtuelle Gedenkstätte für zivile Drohnenopfer.

 


  1. Balochs Familie schließt einen möglichen Selbstmord aus und sind von einer Fremdeinwirkung überzeugt: https://www.dw.com/en/missing-pakistani-activist-karima-baloch-found-dead-in-toronto/a-56037459
  2. Mindestens 21.000 Belutschen werden in Pakistan vermisst: https://tribune.com.pk/story/871142/raising-his-voice-21000-missing-in-balochistan-says-mama-qadeer
  3. Mehr zu der Errichtung einer chinesischen Militärbasis in Belutschistan: https://www.forbes.com/sites/hisutton/2020/06/02/chinas-new-high-security-compound-in-pakistan-may-indicate-naval-plans/
  4. Der Mossad und Jundullah: https://www.haaretz.com/1.5164851

 

 

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