China: Zu jedem Anlass etwas Hochprozentiges

Erguotou-Schnaps. Bild: N509FZ/CC BY-SA-4.0

 

Es kursieren in Deutschland einige Gerüchte über Chinesen. Eines der hartnäckigsten lautet: Ihnen fehlt in der Leber ein Enzym, das den Alkohol im Körper abbaut. Demnach vertragen Chinesen keinen Alkohol. Dabei kenne ich kaum ein Volk, das neben den Russen trinkfreudiger ist als die Chinesen

Die Chinesen blicken auf eine Trinkkultur von mehr als 4000 Jahren zurück. Ein Beamter namens Dayu wurde beauftragt, den launigen Gelben Fluss zu bändigen. Er war so vertieft in seine Arbeit, dass er nicht nur sein Zuhause vergaß, sondern auch den Appetit verlor. Köchin Yidi zerbrach sich den Kopf, wie sie dem Herrn zu mehr Gaumenfreuden verhelfen konnte. Eines Tages ging sie in den Wald, um Früchte zu sammeln, und machte eine faszinierende Entdeckung: Ein Affe trank aus dem gegärten Pfirsichsaft und zeigte sich dabei sichtlich erregt und zufrieden. Sie kostete ebenfalls den Saft. Es wurde ihr warm im ganzen Körper. Die treue Yidi brachte dem Herrn einen Krug von dem Pfirsichschnaps zurück. Auf einmal verspürte Dayu Appetit und kam wieder zu Kräften. Seitdem mischte Yidi Kräuter und Getreide zusammen und widmete sich nebenbei der Produktion von Schnaps. Noch heute wird sie als Göttin des Alkohols verehrt und gefeiert.

Schnapssorten gibt es unzählige. Die bekannteste Marke ist zweifelsohne Maotai (茅台). Sie profitiert davon, dass sie von der Regierung zum Staatsschnaps auserkoren wurde und Staatsgäste damit verköstigt werden. Inzwischen kostet eine Flasche über 3000 Yuan (ca. 400 Euro). Wenn Sie also in einem China-Restaurant für einen Apfel und ein Ei ein Glas Maotai bekommen, dann handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine Fälschung.

Wer sich beim Börsengang 2001 mit der Aktie eingedeckt hat, kann sich bei einer Vervierzigfachung des Wertes locker ein paar Flaschen leisten. Die Marktkapitalisierung von Maotai ist inzwischen höher als das gesamte Bruttosozialprodukt der Provinz Gui Zhou, der Heimat von Maotai. Doch auch für Menschen ohne ein dickes Portemonnaie sind Alternativen vorhanden. So ist zum Beispiel eine andere bekannte Marke Erguotou (二锅头) bereits für 40 Yuan (5 Euro) pro Flasche zu haben. Der deutsche Vater meiner Tochter fand an Erguotou sogar mehr Gefallen als an Maotai. Mit mehr als 50 Prozent sind beide Schnäpse nur für trinkfeste Menschen.

Trinkfest sind die allermeisten Chinesen, Frauen inklusive. Denn sie haben ja auch reichlich Gelegenheiten zum Trainieren. Verlobung, Hochzeit, Geburt eines Kindes, Hunderttage desselbigen, Geburtstage der Mitglieder der Großfamilie, Schulklassentreffen (für Erwachsene), Abschied und Wiedersehen der Freunde, usw. Auch beim Arbeitsessen darf der Schnaps nicht fehlen. Beim wichtigsten Fest des Jahres – dem Frühlingsfest – ist ein Dauertrinken von sieben Tagen angesagt. So sehen sich viele Chinesen nicht als Alkoholiker, obwohl sie fast jeden Tag Schnaps konsumieren. Denn sie wollen ja nicht trinken, sie müssen, aus hehrem Pflichtbewusstsein der Familie, den Freunden und den Arbeitskollegen gegenüber.

Rituale sind feste Bestandteile der chinesischen Trinkkultur

So sollten die Jüngeren und Rangniedrigeren beim Beginn und während des Festmahls aufstehen, um mit den älteren und Ranghöheren anzustoßen. Dabei leeren sie aus Respekt vor dem Gegenüber ihre Gläser und bieten dem anderen an, nur so viel zu trinken, wie sie mögen. In besonders trinkfreudigen Provinzen wie Shandong ist es üblich, gleich drei Gläser hintereinander rein zu kippen. Keine Sorge: Es handelt sich um die handelsüblichen Minigläser von ca. 5ml, die bei den guten Schnapssorten in der Verpackung drin sind. Leider macht auch kleines Vieh bekanntlich Mist. So muss jeder für sich aufpassen, wo sein Limit ist. Die Kunst liegt darin, so viel zu trinken, dass sich alle in einer zufriedenen und angeheiterten Stimmung verabschieden, ohne zu lallen oder gar das Festessen durch den Mund wieder rauszugeben.

Sitzen nur Gleichrangige (Schulklassentreffen oder Treffen der alten Freunde) am runden Esstisch, geht es viel lockerer und munterer zu. Es werden Spiele gespielt, um das Trinktempo anzuschieben. Das beliebteste und älteste Trinkspiel (seit der Han-Dynastie) ist das Faustspiel, bei dem man eine Zahl mit der Faust signalisiert und dabei eine Zahl ausspricht, die der ausgespielten Zahl des Gegenübers im Idealfall entspricht. Liegt man richtig, muss der andere sein Glas leeren und umgekehrt. Liegen beide falsch, trinken entweder beide eine Runde oder es wird weitergespielt. Dabei würden die Chinesen ihrem Ruf als Kulturnation nicht gerecht, wenn sie nur eine einfache Zahl aussprächen. Nein, sie verbinden die Zahl mit guten Wünschen.

Beispiel vier. Die Chinesen sagen: “Si Xi Cai” (Das Glück in vier Höchstform und Reichwerden). Was war für die antiken Chinesen das höchste Glück? Regen nach langer Dürre, alte Freunde in der Fremde treffen, die Hochzeitsnacht und eine gute Platzierung bei der Beamtenprüfung. Bei fünf wird ausgesprochen: “Wu Kui Shou” (Erster Platz bei den fünf konfuzianischen Werken, damit ist auch die Beamtenprüfung gemeint). “Qi Lian Qiao” (Das Glück der Sieben) bringt neben der Zahl sieben auch den Wunsch nach Liebesglück zum Ausdruck, da sich ein bekanntes Liebespaar in den chinesischen Sagen nur am siebten Juli (nach dem Mondkalender) treffen darf und ihre Geschichte für die unerschütterliche Liebe steht. Das Streben nach der Liebe und eine gute konfuzianische Bildung waren also in Jahrhunderten und Jahrtausenden für die Chinesen von höchster Bedeutung.

Für die Chinesen ist der Schnaps tatsächlich wie Wodka für die Russen. Dabei ist der hochprozentige Schnaps längst nicht alles, was die Nachfolger von Yidi erfunden haben. Der Huang Jiu (Gelber Wein) beispielsweise, gebraut mit speziellen Reissorten, ist nur 8 bis 20 Prozent leicht und wird am Duanwu-Fest (5. Mai nach dem Mondkalender) besonders gerne konsumiert. Zusammen mit Bier und Wein wird der Gelbe Wein als eines der drei alten alkoholischen Getränke bezeichnet. Auf dem Chongyang-Fest (9. September nach dem Mondkalender) wird mit Chrysanthemenwein angestoßen. Aber das alles wäre etwas für die Fortgeschrittenen der chinesischen Trinkkultur.

Kommt jetzt noch jemand auf die Idee, dass den Chinesen ein bestimmtes Enzym fehlt, um den Alkohol zu absorbieren?

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