Große Schweinerei

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Der größte Ferkelzuchtbetrieb Europas existiert nicht mehr. In den Stallanlagen bei Alt Tellin im Landkreis Vorpommern-Greifswald verbrannten und erstickten weit über 50.000 Sauen und Ferkel. | Foto: Tierschutzbund Mecklenburg-Vorpommern

Über 50.000 tote Tiere! Und keiner will schuld sein am Brand in der größten Schweinezuchtanlage Europas in Alt Tellin in Mecklenburg-Vorpommern. Nach Angaben des Betreibers sind bei dem Großbrand vor Ostern fast alle der 57.000 Tiere gestorben. Der Betreiber der Anlage, die LFD Holding, dankt der Feuerwehr für die Rettung von 1.300 Tieren. Mehr Tiere konnten die Helfer nicht retten, weil die Zuchtsauen einen Großteil ihres Lebens in sogenannten Kastenständen fixiert sind und nicht weglaufen können, auch wenn die Stalltüren offen sind. Die Schweine sind schlicht verbrannt oder erstickt

Die vielen Freiwilligen Feuerwehren der umliegenden Dörfer konnten sich am 30. März auch nicht auf den Brand der riesigen Stallanlage konzentrieren. Sie mussten verhindern, dass das Feuer auf eine ebenso riesige Biogasanlage übergriff, in der die Schweinegülle zu Strom gemacht wird, und die zu explodieren drohte.

Inferno der Massentierhaltung

Ich benutze das Wort Massentierhaltung eigentlich nicht, weil es ein Kampfbegriff ist, der allein die Menge der gehaltenen Tiere anprangert. Und diese Menge entscheidet nicht über Wohl und Weh, gut oder böse. Wenn die Gnus alljährlich von der Massai Mara in die Serengeti ziehen, sind sie dicht gedrängt, auch wenn früher die riesigen Rentierherden durch Sibirien zogen, war das so. Die schiere Menge Tier sagt also nichts. Aber eine Anlage mit 57.000 Schweinen, davon 7.000 Sauen einen Großteil ihres Lebens fixiert in eisernen Käfigen, lebenslang ohne jeden Freigang – darauf passt der Begriff.

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Nur 1.300 der 57.000 Tiere konnten Feuerwehrleute aus den achtzehn Ställen retten. Die anderen konnten auch durch geöffnete Stalltüren nicht fliehen. Die Sauen verbrannten, weil sie zumeist in Kastenständen fixiert sind. | Bild: Deutscher Tierschutzbund e.V. Landesverband Mecklenburg-Vorpommern

Die Brandursache ist auch nach über einer Woche unklar. Die Betreibergesellschaft LFD sagt, sie habe die Anlage „stets unter Einhaltung der erteilten Betriebsgenehmigung sowie einer vorliegenden Brandschutzverordnung betrieben“. Der Bund für Umwelt und Naturschutz in Meckpomm hatte schon 2012 unter anderem wegen unzureichenden Brandschutzes gegen den Bau der Anlage geklagt.

Till Backhaus, der Landwirtschaftsminister Mecklenburg-Vorpommerns (SPD) sprach von einer „Tragödie“, lehnte aber jede Mitverantwortung für den qualvollen Tod der Tiere ab, obwohl er mit gut 22 Jahren Regierungszugehörigkeit der dienstälteste Landesminister Deutschlands ist. Genehmigt habe die Anlage seinerzeit der Wirtschaftsminister von der CDU. Allerdings hat die Landesgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern an der Schweinezuchtanlage mit geplant. Und deren Aufsichtsratsvorsitzender heißt Till Backhaus.

Bei einer kleinen Demonstration vor den rauchenden Trümmern hielt eine der Aktivistinnen dann auch ein Schild hoch, auf dem stand: „Heul nicht, Backhaus!“ Der Minister erklärte unterdessen, dass er gegen Tierhaltungen ohne Flächenbindung sei. Tatsächlich würde eine Verpflichtung zur Futtererzeugung auf eigenem Land industrielle Großanlagen wie die in Alt Tellin weitgehend verhindern. Eine solche Flächenbindung gibt es aber ebenso wenig wie ein Verbot der Kastenstände für Zuchtsauen.

Eine Abferkelbox mit Fixierung der Muttersau. Sie soll daran gehindert werden, ihre eigenen Ferkel zu erdrücken. Was ihr in der Enge der Box tatsächlich passieren könnte, bei artgerechter Haltung mit Auslauf eher nicht. | Bild: Maqi – für Tierrechte, gegen Speziesismus

Die Kastenstände sind rund zwei Meter lang, also kaum länger als die Sauen, bisweilen sogar kürzer, und zwischen siebzig und achtzig Zentimeter breit. Auch da kein Platz, sich zu drehen. Auch beim Liegen werden die Muttersauen behindert mit einem sogenannten Ferkelschutzbügel. Sie sollen sich nicht drehen, um die neugeborenen Ferkel nicht zu erdrücken. Wenn die Sauen allerdings viel Platz und viel Stroh in den Ställen hätten, würden sie auch keine Ferkel zerquetschen. Wie das bei artgerechter Haltung funktioniert, kann man in großzügigen Ferkelställen beobachten. Die Sau jagt die Ferkel davon, was durchaus schweinemäßig unsanft erfolgen kann. Dann türmt sie einen Haufen Stroh auf und legt sich hinein. Erst dann dürfen die Kleinen zum Säugen kommen. So etwas ist in einem Industriebetrieb „natürlich“ undenkbar.

Im vergangenen Jahr hat der Bundesrat den Schweinezuchtbetrieben eine bis zu fünfzehnjährige Übergangszeit eingeräumt, bis sie die Kastenstände ihrer Sauen und die Abferkelbereiche so umzubauen haben, dass die Sauen während der Fixierung wenigstens die Gliedmaßen ausstrecken können. Mehrere Gerichte hatten zuvor geurteilt, dass die Kastenstände nicht der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung entsprächen und umgebaut werden müssten. Nun ja, in fünfzehn Jahren halt…

Die Kastenstände sollen so gestaltet sein, dass die Sauen sich ausstrecken können, auch ihre Gliedmaßen. Mehrere Gerichtsurteile verlangen den Umbau der Kastenstände und die Begrenzung der Zeit, die die Sauen so gehalten werden. Der Bundesrat hat diese Haltungsform dennoch um 15 Jahre verlängert. | Foto: Peta

 

Auch ein ausreichender Brandschutz für Stallanlagen ist offenbar undenkbar, oder zumindest nicht vorgeschrieben, wie zahlreiche Stallbrände mit vielen verendeten Tieren jahrein jahraus belegen. Das ist nicht nur in Deutschland so. Die unabhängige niederländische Untersuchungsbehörde für Sicherheit, Onderzoeksraad voor Veiligheid OVV, urteilte in einem Bericht zu Stallbränden im vergangenen Jahr, dass der Agrarsektor und das zuständige Ministerium die Gefahr von Stallbränden mit tödlichen Folgen für die Tiere offenbar akzeptieren: „Nach dem System der geltenden Vorschriften wird es als akzeptables Risiko angesehen, dass bei einem stabilen Brand bis zu 130.000 Geflügel oder 7000 Schweine sterben.“[1]

Die Schweinebetriebe

Die Betreibergesellschaft des abgebrannten Schweinebetriebs, LFD Holding, ist bei Tier- und Umweltschützern seit vielen Jahren als Problemfall bekannt. Schon der Name ist eine semantische Nebelkerze: LFD heißt ausgeschrieben „Landwirtschaftliche Ferkelzucht Deutschland“. Das Wort landwirtschaftlich suggeriert etwas Bäuerliches. Dabei ist die LFD ein rein industrieller Schweinezüchter, sogar „Deutschlands größter Ferkelzuchtbetrieb“, und außerdem seit vergangenem Jahr im Besitz der Schweizer Investmentgesellschaft Terra Grundwerte AG, die sich „als Werteentwickler durch Investment-Beteiligungen“ versteht. Das hat mit bäuerlicher Landwirtschaft rein gar nichts zu tun. Die LFD rühmt sich dann auch auf ihrer Homepage, dass sie an zwei Standorten sogar eigenes Futter anbaue: „In Binde und Gladau erzeugen wir ca. 20 Prozent unseres Bedarfs an Futtermitteln in Eigenanbau.“ Das heißt, selbst da, wo die LFD ein wenig Landwirtschaft betreibt, muss sie achtzig Prozent des Futters zukaufen.

Das Schweine-Unternehmen LFD ist hervorgegangen aus dem international tätigen Familienunternehmen des niederländischen „Schweine-Barons“ Adrianus Straathof, der 2013 nach eigenen Angaben in den Niederlanden, Deutschland und Ungarn etwa 65.000 Zuchtsauen hielt. Straathof war von Anfang an mit den Behörden in Konflikt. Schon seine erste zweistöckige Schweinezuchtanlage in der niederländischen Provinz Gelderland hatte keine Baugenehmigung. In Deutschland wurde jahrelang wegen Tierquälerei gegen Adrianus Straathof ermittelt. 2019 wurde er letztinstanzlich zu acht Monaten Haft verurteilt und mit einem nationalen Berufsverbot belegt. Die Richter erklärten damals vorsorglich, dass es in dem Verfahren nicht um die grundsätzliche Bewertung der Massentierhaltung, sondern um einen Einzelfall tierschutzwidriger Haltung gehe. Wobei mit dem Einzelfall der Mensch Straathof gemeint sein musste, denn die Schweine litten tausendfach unter gerichtlich attestierten „tierschutzwidrigen Haltungsbedingungen“, die sie krank machten, wonach sie nicht oder nicht ausreichend versorgt wurden.

[1] Zitiert nach dem Newsletter „Agrar-Hinweise“ (Eckehard Niemann) vom 03.04.2021

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