Können wir „Disease X“ verhindern?

 

Wolrdplaque

Das Corona-Virus hat es gut ins neue Jahr geschafft. Wir nicht so richtig. Von 1,8 Millionen Toten im Zusammenhang mit Covid-19 berichtet die Johns Hopkins University zum Jahreswechsel. In der zweiten Coronawelle steigt die Übersterblichkeit deutlich. Es sterben also viel mehr Menschen, als im langjährigen statistischen Durchschnitt. Auch bei uns. Jede fünfte der in Deutschland mit Covid-19 Eingewiesenen verlässt das Krankenhaus im Sarg. Nun sind Impfstoffe im Einsatz, und damit ist das Ende dieser Pandemie in Sicht. Nicht aber das Ende der Pandemien. Die werden uns in Zukunft in kürzeren Abständen heimsuchen, wenn wir unser Verhalten, unser Wirtschaften und unsere Art der Landwirtschaft nicht ändern.

Covid-19, Sars, Ebola, HIV/Aids, die Spanische Grippe und die Pest, um mal in der Zeitgeschichte zurückzuschauen: Was haben all diese Pandemien gemeinsam? Sie sind Zoonosen. Es handelt sich also um Krankheiten, die von anderen Tieren auf uns Menschen übergehen. Manchmal leiden die Tiere, die uns die Krankheit weitergeben, selbst nicht an ihr, oder nur in geringem Maße. Manchmal gibt es aktive Überträger, die nur die Krankheitserreger transportieren, wie die Rattenflöhe, die das Bakterium Yersinia pestis zu den Menschen brachten, und damit den Schwarzen Tod. Damals war es vor allem mangelnde Hygiene, die die Ratten massenhaft im Lebensraum der Menschen gedeihen ließ. Starb die Ratte, suchte sich ihr Floh das nächste Wirtstier. Die modernen Pandemie-Auslöser haben es nicht mehr nötig, sich ihr menschliches Opfer zu suchen. Inzwischen nämlich sind wir Menschen dazu übergegangen, uns die nächsten Erreger selbst abzuholen.

In diesen Tagen wollte sich eine Kommission der Weltgesundheitsorganisation ins chinesische Wuhan begeben. Ihre heikle Aufgabe: die Suche nach dem Ursprung des Corona-Virus Sars-CoV-2. War es der Wildtiermarkt in der Millionenstadt und ein dort gefangengehaltenes lebendes Wildtier, das den Corona-Patienten Nummer eins infizierte? War es ein Pangolin, wie bislang vermutet, also ein Schuppentier, das in China als Delikatesse gilt? Das ist kein besonderer Status, denn viele Wildtiere gelten dort als Delikatesse. Und als frisch gilt Fleisch übrigens nur dann, wenn das Tier noch lebt. Das haben wir inzwischen alles gelernt über China und seine Märkte. Natürlich auch, wie gut die Vertuschungsmaschinerie im Reich der Mitte funktioniert. Deshalb wird es die UNO-Kommission schwer haben, den Ursprung der Pandemie zu finden. Zumal es jenen Wildtiermarkt in Wuhan gar nicht mehr gibt. Wo der früher war, steht heute nur noch ein einzelner Kiosk, der von einer offenbar treuen Parteigenossin betrieben wird, wie ARD-Korrespondent Steffen Wurzel kürzlich berichtete. Die chinesische Regierung hat es der WHO dann kurzerhand ganz einfach gemacht, mit ihrer schwierigen Mission umzugehen: Sie hat die Einreise der Experten verboten.

Tod aus der Wildnis

Was auch ohne Aufklärungsarbeit vor Ort klar zu sein scheint: Sars-CoV-2 haben wir uns aus der Wildnis geholt. Wenn es ein Pangolin war, mit dem wir uns Corona gefangen haben, dann war die Jagd zudem illegal, denn alle acht noch existierenden Arten von Schuppentieren, ob in Asien oder Afrika, sind international geschützt, weil ihre Bestände bedroht sind. Dennoch gehören die Schuppentiere zu den am häufigsten illegal gehandelten Säugetieren. Auch weil ihre Schuppen in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) Verwendung finden. Sie gilt als einer der stärksten Treiber der weltweiten Wilderei.

Afrikanisches Weißbauchschuppentier Phataginus tricuspis: Ein illegal gejagtes und in Wuhan verkauftes Pangolin könnte der Ursprung von Covid-19 sein. | Foto: Justin Miller / Pangolin Conservation

Das erste Coronavirus, das für eine vergleichsweise winzige Pandemie verantwortlich war, stammte vermutlich von einem Larvenroller, also einer Schleichkatze, die in einem Restaurant im südchinesischen Shenzhen zubereitet wurde. Auch Fledermäuse im Raum Hongkong trugen das Virus in sich. Damals, 2003, entwickelte ein unbekannter Virologe namens Christian Drosten mit Kollegen innerhalb von zwei Tagen nach der Identifizierung des Erregers Sars-CoV-1 den diagnostischen Test, mit dem das Virus nachgewiesen werden kann. Der war die Blaupause auch für den Test, der dann ab 2019 Sars-CoV-2 auffindet.

Die beiden Corona-Pandemien kamen also nach dem gleichen Muster über uns: Sie wurden von uns aktiv aus der Wildnis geholt. Und das ist das Muster für alle von der Weltgesundheitsorganisation als Pandemie eingestuften Epidemien der vergangenen Jahrzehnte, soweit sie nicht Seuchenzüge der echten Grippe, also der Influenza, waren.

Die größte Pandemie unserer Zeit haben wir weitgehend aus den Augen verloren: HIV/Aids. Einmal im Jahr, dem Welt-Aids-Tag am 1. Dezember, wird daran erinnert. Im vergangenen Jahr zählte das gemeinsame Programm der Vereinten Nationen UNAIDS 76 Millionen Infizierte seit den 80er Jahren und 33 Millionen an Aids Gestorbene. Das Retrovirus, das die Immunschwächekrankheit verursacht, stammt ursprünglich von Affen, wurde dann wohl von jagenden Schimpansen aufgenommen, übersprang also die Artgrenze vom Affen zum Menschenaffen, und dann zum Menschen. Das Ganze fand in Westafrika statt, in der Kolonialzeit Anfang des 20. Jahrhunderts, als Frankreich und Belgien Regenwald roden ließen, um Plantagen anzupflanzen. Die Menschen nahmen ihren nächsten Verwandten im Tierreich den Lebensraum, rückten ihnen buchstäblich auf den Pelz. Und sie jagten Schimpansen, um sie als „Buschfleisch“ zu verzehren. Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger Jahre kam der im Menschen zum HI-Virus mutierte Erreger dann wohl von Afrika zuerst nach Haiti und von dort in die USA, wo die Aids-Pandemie ausbrach.

Als Hauptwirt des besonders tödlichen Ebolavirus gelten verschiedene Arten von Flughunden in Zentral- und Westafrika, wo auch diese Fledertiere wieder als Bush Meat verzehrt werden. Die durchschnittliche Todesrate bei Ebola-Erkrankungen liegt bei fünfzig Prozent. Die besonders pathogenen Virusvarianten können neunzig Prozent der Infizierten töten.

Umweltzerstörung als Auslöser

Ein Virus, vor dessen pandemischer Ausbreitung die WHO besonders viel Respekt hat, ist das Nipah-Virus. Auch hier bilden wieder Flughunde das biologische Reservoir, die selbst nicht erkranken. Den Weg zum Menschen fanden die Viren über die Schweine, die wiederum nur milde Symptome zeigen. Beim Menschen wiederum löst das Nipah-Virus eine Hirnhautentzündung aus, die die meisten Infizierten nicht überleben. Wie aber kam das Nipah-Virus zu den von Menschen gehaltenen Schweinen? Ganz einfach: Auch in Südostasien wurde Regenwald abgeholzt, um landwirtschaftliche Nutzfläche zu gewinnen. Die Bäuerinnen pflanzten dann Fruchtbäume und ließen ihre Schweine in die Plantagen. Die Flughunde ernähren sich von Früchten und die Schweine nehmen gerne auf, was vom Baum fällt.

Neben einer ganzen Reihe von Erregern, die die Weltgesundheitsorganisation für potentielle Pandemieauslöser hält, gibt es da auch noch einen Platzhalter für die nächste bis dato unbekannte Krankheit: Disease X. Und diese werden wir uns ganz sicher in der Wildnis einfangen, wenn wir unser zerstörerisches Wirtschaften nicht beenden.

Noch nie ist so viel Regenwald so schnell zerstört worden, wie zurzeit. Noch nie waren Agrar- und Lebensmittelindustrie so abhängig von Importen aus eben diesen zerstörten Gebieten. Soja und Palmöl sind allen bekannte Stichworte.

Palmfrüchte vor der Ölverarbeitung
Ein Motor der Vernichtung von Regenwald und des menschlichen Vordringens in die Wildnis: Palmöl | Foto: tk tan / Pixabay

 

Riesenmähdrescher in Brasilien
Die Wunderbohne der Landwirtschaft: Soja. Nur nicht, wenn da vorher Wildnis war, wo jetzt geerntet wird. | Foto: Charles Echer / Pixabay

 

Wer kein „konventionell“ erzeugtes Schweinefleisch und keine so produzierte Milch und keine Eier und keine Hähnchen aus „konventioneller“ Produktion mehr kauft, hat schon ziemlich viel Sojaimport vermieden. Beim Palmöl ist das Vermeiden nicht ganz einfach, weil es im sogenannten Biokraftstoff, in Kerzen und Waschmitteln stecken kann. Für Kosmetika und Lebensmittel gibt es allerdings ein Zertifikat, auf das wir beim Einkauf achten können: das Siegel des Roundtable on Sustainable Palm Oil, RSPO. An diesem runden Tisch sitzen Umweltschutzorganisationen mit Herstellern und Verarbeitern zusammen. Das Siegel lässt aber Monokulturen zu und verhindert auch nicht aktiv die Rodung weiteren Regenwaldes. Also besser Produkte vermeiden, die Palmöl enthalten. Wenn sich das auf der Zutatenliste entdecken lässt …

 


Hauptthema Palmöl bei Rettet den Regenwald: https://www.regenwald.org/themen/palmoel

Zerstörung durch Sojaanbau bei Faszination Regenwald: https://www.faszination-regenwald.de/info-center/zerstoerung/soja/

Nationale Forschungsplattform Zoonosen: https://www.zoonosen.net/startseite

 

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