Mehrheit für Ackergifte

Wird bei Diskussionen über den Pestizideinsatz immer wieder gern verleugnet: Ein Kornfeld wird mit Glyphosat tot gespritzt, um den idealen Erntetag zu bestimmen. | Foto: Public Domain Pictures

Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer will weiterhin Pestizidrückstände essen. Sie hat gegen eine Initiative gestimmt, die die Schweiz pestizidfrei machen wollte. Die Rückstände in den Lebensmitteln und die permanente Vergiftung der Umwelt sind damit akzeptiert.

Man kann das Ergebnis der Volksabstimmung vom Sonntag auch anders lesen: Vierzig Prozent der Schweizerinnen und Schweizer, die zu den Wahlurnen gegangen sind, haben sich gegen die Agrochemiekonzerne und die „konventionelle“ Landwirtschaft gestellt. Die Giftbefürworter haben nur rund 700.000 Stimmen mehr bekommen. Kein Supermarkt kann dauerhaft auf vierzig Prozent seiner Kundinnen und Kunden verzichten, falls die denn in Zukunft so einkaufen sollten, wie sie abgestimmt haben.

Wahlkampf mit Ängsten

„Ja, ich bin schon enttäuscht“, sagte am Tag danach Mathias Forster, Stiftungsrat der Bio-Stiftung Schweiz, Herausgeber des Buches Das Gift und wir und einer der prominentesten Befürworter der Initiative für eine pestizidfreie Schweiz. „Andererseits haben vierzig Prozent gegen die Macht und das Geld gestimmt!“

Zwei Initiativen standen zur Abstimmung. Die eidgenössische Volksinitiative „Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung“ wollte die Direktzahlungen des Staates an Landwirtschaftsbetriebe davon abhängig machen, dass diese auf den Einsatz von Pestiziden und Antibiotika verzichten. Und die Initiative „Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide“ wollte deren Einsatz bundesweit verbieten und gleichzeitig auch die Einfuhr von Lebensmitteln, bei deren Produktion Agrochemie eingesetzt wurde.

Zwei der Initianten der Volksabstimmung für eine pestizidfreie Schweiz: Links der Biologe Prof. Edward Mitchell von der Universität Neuenburg, in der Mitte der biodynamische Winzer Jean-Denis Perrochet. Rechts Mathias Forster von der Bio-Stiftung. | Foto: Forster, Bio-Stiftung
Mit großem Engagement gescheitert: das Initiativkomitee für eine pestizidfreie Schweiz am Tag der Abstimmung in Bern. | Foto: Forster, Bio-Stiftung

Die Macht und das Geld, von denen Stiftungsrat Mathias Forster spricht, das war eine Allianz aus Politik, Industrie und Bauernverband. Der Bundesrat, die Regierung der Schweiz, empfahl dem Wahlvolk und den Kantonen die Ablehnung der beiden Initiativen, die das Land von Pestiziden befreien wollten. Die Industrie, allen voran die Agrochemieriesen Syngenta und Bayer, hat Millionen von Franken in die Hand genommen, um eine breite Kampagne gegen die beiden Volksbegehren zu fahren. Zwölf Millionen sollen allein die Pestizidhersteller in den Abwehrwahlkampf gesteckt haben, noch einmal 400.000 die Fenaco, der Dachverband der Schweizer Agrargenossenschaften, der selbst ein Agrarkonzern ist, der mit Pestiziden handelt. Fenaco gehört den 43.000 Mitgliedern der Genossenschaften, die unter dem Markennamen Landi bekannt sind, davon sollen mehr als die Hälfte aktive Bäuerinnen und Bauern sein. Die Machtverhältnisse sind allerdings anders als die Besitzverhältnisse. Die Höfe beziehen ihre Produktionsmittel von den Genossenschaften und liefern ihre Produkte an sie. Das sieht eher so aus, als gehörten die Bäuerinnen und Bauern Fenaco, als umgekehrt.

Die Nein-Kampagne schürte vor allem Ängste: Die Schweiz könne sich ohne Pestizide noch weniger selbst mit Lebensmitteln versorgen, als das schon der Fall ist. Schweizer Landwirtschaft sei ohne Pestizide in weiten Bereichen gar nicht mehr möglich. Und die ärmeren Familien im Land könnten sich die dann viel teureren Lebensmittel nicht mehr leisten. Die Unterstützer der Volksbegehren versuchten, sämtliche Argumente der Gegner sachlich zu entkräften, kamen damit aber nicht gegen die Emotionen an, die die Nein-Kampagne entfachte.

Die Galionsfigur der Pestizid-Befürworter war ausgerechnet ein Biobauer: Markus Ritter, der Präsident des Schweizer Bauernverbands SBV. Dessen Draht zur Politik könnte nicht kürzer sein, er ist nämlich christdemokratischer Nationalrat, also Abgeordneter in der großen Kammer des Schweizer Bundesparlaments. Als solcher hat er dem Direktor des eigenen Verbandes und dessen Stellvertreter direkten Zugang zum Schweizer Bundeshaus verschafft, auf dass sie dort Lobbyarbeit betreiben können. Laut SBV-Vize Urs Schneider war die Kampagne des Bauernverbands gegen die Pestizidverbote die größte in dessen fast 125-jähriger Geschichte. Die Kampagne hat funktioniert, der Bauernpräsident kann sich seiner Wiederwahl sicher sein.

Markus Ritter Agrar-Lobbyist Nr.
Durch Zuspitzung der Nein-Kampagne mit verantwortlich für die persönlichen Bedrohungen der Pestizidgegner auf dem Land: der Schweizer Bauernpräsident Markus Ritter. | Foto: Bundeshaus Bern

 

Spaltung und Drohungen

Vor allem auf dem Land wurde der Kampf gegen die Pestizid-Initiativen mit harten Bandagen geführt. Einer der Köpfe der Pestizidgegner war der Grünen-Politiker und Biobauer Kilian Baumann, der ebenfalls Nationalrat, also Abgeordneter im Bundesparlament, ist und Vorsitzender der Schweizer Kleinbauern-Vereinigung. Er ist am Ende aus dem Wahlkampf ausgestiegen, hat alle öffentlichen Auftritte abgesagt. Zu groß war der psychische Druck geworden, zu brisant waren die Drohungen, die sich längst nicht mehr nur gegen ihn selbst richteten, sondern auch gegen seine Familie. Er bekam Briefe, in denen die Schule genannt wurde, in die seine älteren Kinder gehen und die Kita des jüngsten. Am Ende stand die Familie unter Polizeischutz und Kilian Baumann gab seine aktive Unterstützung der beiden Volksinitiativen auf.

Die Kampagnen haben die Schweiz gespalten. Auf dem Land stehen sich Pestizidgegner und Pestizidbefürworter offenbar unversöhnlich gegenüber. Stiftungsrat Mathias Forster sieht den Spalt aber noch deutlicher zwischen Stadt- und Landbevölkerung: „Auf der einen Seite stehen die Bauern, die für sich in Anspruch nehmen, mit der Natur verbunden zu sein. Und die haben sich nun gegen eine Initiative aus der Bevölkerung gestellt, die eine Lebensmittelproduktion haben möchte, die wieder mit der Natur arbeitet, statt gegen sie.“ Und dieser Teil der Bevölkerung lebt vorwiegend in den Städten. Der eigentliche Riss durch die Schweiz ist nach der Analyse von Mathias Forster also der zwischen Land- und Stadtbevölkerung. Am deutlichsten ablesen lässt sich dieser Riss an den Ergebnissen der beiden Baseler Kantone. Der Kanton Basel-Stadt stimmte mit über 57 Prozent für das Pestizidverbot, der Kanton Basel-Landschaft mit über 59 Prozent dagegen.

Dass die Nein-Kampagne mit so harten Bandagen geführt wurde, hat nach Ansicht Mathias Forsters der Bauernpräsident mitzuverantworten: „Markus Ritter hat die Initiativen gegen die Pestizidanwendung zum Todesstoß für die Landwirtschaft stilisiert und damit die Bauern extrem emotionalisiert.“ So erklärt sich der Stiftungsrat der Bio-Stiftung die Drohungen gegenüber Biobauer Kilian Baumann und auch gegenüber Franziska Herren, der Initiantin der Trinkwasserinitiative, und deren Familie. „Es war wirklich ein extrem harter Kampf, der da geführt wurde“, sagt Mathias Forster, „und der geht aus meiner Sicht darauf zurück, dass die großen Machtblöcke der Agrochemie und des politischen Flügels des Bauernverbandes die Ängste der Bauern aktiviert und manipuliert haben.“ Und dabei auch Biobauern mitgerissen, wie Markus Ritter ja selbst einer ist. Sogar ein Biobauern-Komitee gegen die Pestizidinitiative hat der Schweizer Bauernverband auf die Beine gestellt.

Wie weiter?

Einer der führenden Köpfe der Trinkwasserinitiative sagte nach der verlorenen Abstimmung, dass man nun die aufgerissenen Gräben wieder zuschütten müsse. Mathias Forster, der deutlich und häufig für das Pestizidverbot eingetreten ist, hofft, dass die Schweizer Politik die vierzig Prozent Wählerstimmen für dieses Pestizidverbot nicht weiter übersehen und übergehen kann. Ansonsten tröstet er sich damit, dass auch das Frauenstimmrecht, das in der Schweiz erst 1971, also vor fünfzig Jahren eingeführt wurde, drei Volksabstimmungen gebraucht habe, bis es durchgesetzt war.

Und wie stimmen die Schweizer Verbraucherinnen und Verbraucher nun weiter ab, wenn sie ihren Einkaufswagen durch den Supermarkt schieben? In den Internetforen der deutschen Agrarpresse klingt das einfach, wenn deutsche Landwirte höhnen: „Bin mal gespannt, ob die Befürworter der Initiativen so konsequent sind, und künftig durch ihr Einkaufsverhalten auch für so viel Bioanteil der Käufe sorgen.“ Angeblich, so die Kommentare, dümpelt Bio als Nischenprodukt vor sich hin, ähnlich wie in Deutschland. Nö, Bio dümpelt in der Schweiz nicht, sondern nimmt jedes Jahr deutlich zu, im vergangenen um zwanzig Prozent. Da waren fast elf Prozent der verkauften Lebensmittel in den Supermärkten Bioware, immerhin. Tendenz weiter steigend. In Deutschland waren es nach jüngster Statistik trotz noch größerer Steigerungsrate nur etwas mehr als sechs Prozent. Und so einfach ist das seit der zwiefachen Nein-Kampagne des Bauernverbandes in der Schweiz auch nicht mehr. Dort geht die Spaltung nämlich auch durch die Fraktion der Biobauern. Will ich als Wähler erst gegen Pestizide stimmen und dann die Produkte des Pestizidbefürworters Ritter im Bioladen kaufen?

Da haben es die Deutschen beim Einkaufen leichter. Hier sind die Sphären von Bio und „Konventionell“ noch schön getrennt. Wer Bio kauft, tut guten Gewissens etwas gegen Pestizide. Und der Bauernpräsident ist natürlich kein Biobauer …

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