2001: Odyssee im Weltall

HAL 9000. Bild: Cryteria/CC BY-SA-3.0

Dialektik der Beziehung von Mensch und Maschine

Max Horkheimers und Theodor Adornos bekanntes Werk „Dialektik der Aufklärung“ beginnt mit den bedeutungsreichen Sätzen: „Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.“

Das Merkwürdige an dieser Eröffnung betrifft den von beiden Denkern verwendeten Begriff der Aufklärung, seine Verbindung zum Mensch-Natur-Verhältnis und die katastrophische Schlussfolgerung, die sich von ihm in bezug auf den Zivilisationsprozeß ableitet.

Zum einen erscheint hier Aufklärung im transhistorischen Sinne, d.h., nicht nur als die kulturell-philosophische Bewegung der westlichen Neuzeit, sondern auch als ein die menschliche Zivilisation von Anbeginn durchziehendes Muster, bei dem die Vernunftkapazität des Menschen ihn befähigt, die Natur zu beherrschen – eine Herrschaft, derer er bedarf, um ihm die Furcht vor der Natur zu nehmen. Zum anderen – von der Annahme aushgehend, dass der zivilisatorische Fortschritt wie auch seine repressive Dimension auf der Entwicklung der Technologie und ihrer Schlüsselfunktion bei der gesellschaftlichen Reproduktion basiert – erweist sich für Horkheimer und Adorno der Zivilisationsprozess insofern als katastrophisch, als sich von der notwendigen Beherrschung der äußeren Natur zwangsweise auch die Beherrschung der inneren und von dieser die Herrschaft des Menschen über den Menschen ableitet. Dieses Denkparadigma gründet also in der Auffassung der Herrschaft als wesentlich für die Etablierung von Gesellschaft und Kultur, mithin als repressives Schicksal der Conditio humana.

Diese Erkenntnis durchzieht den gesamten Film Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltall“. Schon im Prolog legt er darüber eine bemerkenswerte cinematographische Rechenschaft ab: Die (wie immer kontingente) Überwindung der Furcht vor der Natur mündet in die Verwandlung eines Tierknochens in ein Handwerkzeug, zugleich aber auch in eine Waffe. Der „neutrale“ Knochen birgt in sich seine potentielle Umbildung durch den Menschen(affen) zu einem nützlichen Instrument im Prozess der gesellschaftlichen Reproduktion, aber auch zum Mittel tödlicher Gewalt. Die Verschwisterung beider Potentiale indiziert den inneren Konnex zwischen der Schaffung einer (Über)Lebensgrundlage einerseits und der Einbettung ebendieser Grundlage in den zwischen den Menschen vorwaltenden repressiven Gewalt- und Herrschaftsformationen andererseits.

Unvergesslich in diesem Zusammenhang jener filmische Moment, in dem der nach oben geschleuderte tierische Knochen, gleichsam als triumphale Geste des „menschlichen Geistes“, eine Metamorphose durchläuft und die Form eines Raumschiffs annimmt, das im Jahr 2001 seinen Weg im All macht. Als wollte Kubrick in einer genialen Filmmontage darstellen, wie in der dialektischen Entwicklung der Produktionmittel das Raumschiff alle Generationen technologischer Entfaltung, die ihren Anfang in jenem nach oben geschleuderten Knochen hat, in sich birgt. Dem Knochen wohnt sozusagen das zivilisatorische Potential des Raumschiffs inne; das Raumschiff wiederum verkörpert gleichsam die historischen Abläufe, die es zivilisatorisch ermöglicht haben – den Knochen als Werkzeug und als Waffe.

Die Essenz des Filmes leitet sich von dieser paradigmatischen Matrix ab: Gegenwart und Zukunft der Zivilisation als Problem der Beziehung von Mensch und Maschine. Natürlich ist das nicht der erste Film, der sich mit diesem komplexen Problem befaßt hat, dessen philosophische Erörterung sich schon bei Marx findet, namentlich die Frage, ob die Maschine im Dienste des Menschen stehen, oder ob der Mensch zum Anhängsel der Maschine mutieren wird. Filmisch wurde das Problem schon ernsthaft in Fritz Langs „Metropolis“ (1927) und satirisch-kömediantisch in Chaplins „Moderne Zeiten“ (1936) behandelt. Aber in Kubricks Film wird das „feindliche“ Element im Mensch-Maschine-Verhältnis nicht nur als Problem einer dysfuktionalen Beziehung zwischen beiden (bei Chaplin) oder des Verlustes der Herrschaft des Menschen über die Maschine (bei Lang) anvisiert, sondern als bewusster und entschiedener Versuch der Maschine (Computer HAL 9000), den Menschen zu überwältigen: die erlangte Autonomie der Maschine also als dystopische Vision fortgeschrittener menschlicher Zivilisation.

Die Maschine wird freilich nicht von selbst autonom (geschweige denn, souverän); es ist ja der Mensch, der sie programmiert hat, er hat sie erschaffen und mit allem ausgestattet, was sie enthält, nicht zuletzt das, was den anomischen Zustand generiert hat, in dem die Maschine „verrückt“ wird und beginnt, sich gegen den Menschen zu wenden.

Gerade dies ist den Filmen Langs, Chaplins und Kubricks doch gemeinsam – der Mensch ist es, der die Mittel herstellt, die produzieren, was er zum Leben braucht, was seine Lebensbedingungen erleichtert, und was das Neue, das Verbesserte und das Fortschrittliche in seinem materiellen Dasein ausmacht. Was jedoch als notwendig, positiv und erwünscht erscheint, verkommt zum Negativen, Beängstigenden, ja Entsetzlichen, wenn der Mensch die Kontrolle über das von ihm Erschaffene verliert. Dieser Kontrollverlust ist aber der Entwicklungslogik moderner Technologie inhärent. Es erhebt sich die Frage, ob dem Risiko, das der Mensch bei der Entwicklung einer Technologie eingeht, die sich als katastrophisch im Sinne des den Menschen überwältigenden Golems erweisen mag, nicht auch ein selbstmörderisches Moment innewohnt.

Diese Frage entbehrt nicht der historisch-empirischen Grundlage, wenn man die nahende, heute fast schon gewisse ökologische Katastrophe in globalem Maßstab, Resultat der grenzenlosen Beherrschung der Natur durch den Menschen, bedenkt. Aber sie betrifft auch mindere Erscheinungen des modernen Verhältnisses von Mensch und Maschine: Einerseits die fortschrittliche Verbesserung alltäglicher Lebenspraktiken wie beispielsweise die des Verkehrs und der Kommunikation, andererseits die Entstehung entropischer Verhältnisse als Ergebnis ebendieser Entwicklung – massive Verkehrsstaus in den heutigen Metropolen, die zunehmende Abhängigkeit des Menschen vom hochentwickelten Mobiltelefon, die Degeneration der Massenmedien zum Mittel wirtschaftlicher Manipulation und politischer Propaganda, das Verkommen der Kultur zur Kulturindustrie etc. D.h., sowohl die nahende apokalyptische Naturkatastrophe als auch die alltäglichen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Praktiken im Zeitalter des Spätkapitalismus werden als etwas Unkontrollierbares aufgefasst, das aber in Geist und Praxis des Menschen gründet. Ist der Mensch, der seiner eigenen Vernichtung zustrebt, demnach von einem universellen Todestrieb geleitet, einem allumfassenden Thanatos, das „dort“ west und einen katastrophisch-teleologischen Zivilisationsprozess antreibt?

Ein cinematographisches Indiz für eine solche mögliche Denkrichtung läßt sich in „Odyssee im Weltall“ in Form des schwarzen Monolithen ausmachen, der bereits im Prolog des Films, in dem die Morgendämmerung der menschlichen Zivilisation dargestellt wird, auftaucht, und dann in späteren Zivilisationsphasen sowie noch in der letzten Phase, die der Film behandelt, erscheint. Kubrick befrachtet das Enigmatische dieses Objekts (das als Prinzip der Gottheit, als Symbolisierung der Vernunft oder als Metapher für die menschliche Geistes- und Schaffenskraft im Zivilisationsprozeß ausgelegt werden kann) mit einer die Immanenz der menschlichen Zivilisation überschreitenden Bedeutung, die den potentiellen Fortschritt des Menschen über sein bisher bekanntes Menschsein hinaus hin zu einem um seine wahre Menschlichkeit ringenden „Übermenschen“ anzeigt. Nicht von ungefähr erklingen beim Erscheinen des Monolithen im Film die erhabenen Eröffnungstakte der von Nietzsches Denken inspirierten Tondichtung „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauß.

Es besteht gleichwohl eine andere Möglichkeit: die der Anbindung an „Gott“ und seine „unergründlichen Wege“. Sie sind allerdings ganz und gar nicht verborgen, wenn man sich dem Postulat verschreibt, dass Gott ein Erzeugnis des menschlichen Geistes sei. Auch die Sintflutgeschichte ist lediglich ein Produkt der menschlichen Phantasie. Das Problem liegt indes nicht mehr in der Phantasie, sondern im realen, sich zunehmend herausbildenden Vermögen, sie zu verwirklichen. Schon heute, da in der Welt alljährlich Millionen von Menschen an Unterernährung und Hunger sterben – in einem Zeitalter, in dem es keinen objektiven Grund mehr gibt, dass auch nur ein Mensch auf der Welt noch Hungers stirbt –, setzt „Gott“ sein Vernichtungswerk fort, und seine Wege gelten immer noch als unergründlich. Der letzte, auf dem Hügel sitzende Mensch, der sich, bevor er seine Seele aushaucht, als Zeuge des Schauspiels einer sich selbst (nuklear, ökologisch oder sonstwie) ausrottenden Menschheit, fragen wird, was „das alles“ gewesen sei, wird sich an die Geschichte der Sintflut erinnern müssen. Oder an den Monolithen in Stanley Kubricks Film.

Aufstand der Maschine – Verrat an sich selbst

Kubrick selbst bietet eine andere „Lösung“ des Problems an: Nach der Odyssee über das Unendliche hinaus („Beyond the Infinite“) zu einem Sein, in welchem der Held seinen eigenen Tod erlebt, ohne zu sterben, zu einem Ende, das kein Ende ist, zeigt Kubrick, gleichsam als „ewige Wiederkehr“, die Gestalt eines Fötus, der aus dem Weltraum (oder dem Bauch seiner Mutter) die Erdkugel anblickt, den Ort des Beginns und der Ermöglichung der Bedingungen für die Odyssee im Weltall – und wieder erklingen, ein letztes Mal, die pathoserfüllten Töne von „Also sprach Zarathustra“.

Das Paradigma bleibt humanistisch trotz der posthumanistischen Andeutungen, die im Film verstreut sind, vor allem bei der Erörterung des komplexen Verhältnisses von Mensch und Maschine und des Kampfes zwischen ihnen: Auch im entscheidenden Moment, als es scheint, dass die Maschine den Menschen bezwingen werde, bleibt der Mensch letztlich Herr der Maschine.

Es ist aber auch kein Zufall, dass Kubrick die Maschine vermenschlicht. Man kann sich kaum des Gefühls latenter Identifizierung mit ihr erwehren, als sie in ihrem herzerweichenden „Todeskampf“ um Mitleid bettelt. Über den dramatischen Effekt hinaus kann die Ironie Kubricks nicht übersehen werden, deren er sich bei der cinematographischen Legitimierung einer solchen Symbiose zwischen Menschlichem und Nichtmenschlichem bedient. Denn diese Symbiose besteht ja schon längst in unserer Realität. Unsere Abhängigkeit von der Maschine ist keine Frage der psychischen Deformation mehr; sie ist schon lange zum integralen Muster in unserem Leben avanciert. Wer kennt nicht das ohnmächtige Gefühl der Leere und Frustration, wenn „der Computer abgestürzt“ ist, man nicht „ins Netz reinkommt“, der Wagen aus unerklärlichen Gründen „steckengeblieben“ ist, die „Klimaanlage nicht funktioniert“, der „Stromausfall“ kein Ende findet, etc.?

Was ungeheuerlich ist an Kubricks Film, ist nicht das symbiotische Verhältnis von Mensch und Maschine – welches uns schon längst zur „zweiten Natur“ geronnen ist –, sondern dass die Maschine dieses symbiotische Verhältnis von sich aus sprengt, mithin den Menschen verrät. Der Mensch, der der Maschine mit geschlossenen Augen vertraut, weil er überzeugt ist, dass er eine fehlerfreie Technologie erzeugt hat, steht entsetzt vor dem vermeintlich Unmöglichen: der Erhebung der Maschine gegen ihn. Wenn aber die Maschine nichts ist als ein Erzeugnis seines Geistes und Schaffens, wenn er ihr Erzeuger ist, gilt sein Entsetzen nicht dem Verrrat der Maschine an ihm, sondern seinem eigenen Verrat an sich selbst.

Dies ist schwer hinzunehmen, wenn man bedenkt, daß der Film keinen dezidiert religiösen Standpunkt einnimmt (davon ausgehend, wie gesagt, daß der Monolith keine Gottheit symbolisiert), sondern ganz im Gegenteil die Odyssee in einem gottlosen Universum geschehen läßt. In einer solchen Welt, in der alles, was sich historisch-sozial-kulturell ereignet, in der alleinigen Verantwortung des Menschen liegt, liegt auch die Verantwortung für das Verhältnis zwischen dem Menschen und der von ihm erzeugten Technologie einizg bei ihm. Die Maschine mag sich durch eine gewisse „Tendenz“ auszeichnen, aber die Realisierung der „Tendenz“ wie auch die Hingabe an ihre Wirkungen sind allein vom Menschen selbst zu kontrollieren. Die Reaktion auf die Feststellung, daß wir zu viel fernsehen, nachgerade TV-süchtig seien, derzufolge uns ja die Fernbedienung zur Verfügung steht, um den Apparat einfach abzuschalten, indiziert das Dilemma: Wenn ein Mensch sich unter Kontrolle hat, liegt es an ihm, die Fernbedienung zu aktivieren und das Verführungselement der Abhängigkeit zu eliminieren; es kann gleichwohl sein, daß man seine Kontrolle verliert, und die „Sucht“ zeitigt ihre Wirkung. Selbst dann, läßt sich aber sagen, daß der Kontrollverlust letztlich die Entscheidung des Menschen ist und entsprechend seiner Verantwortung obliegt.

Das Problem besteht darin, daß auf gesamtzivilisatorischer Ebene solcherlei Dinge nicht wie im Gerichtssaal verhandelt werden, auch nicht als moralischer Diskurs. „Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils“, sagen Horkheimer und Adorno. Daraus ergibt sich, dass das, was Zivilisation von Anbeginn war, Erzeugnis des die Angst vor der Natur durch deren Beherrschung zu überwinden trachtenden Menschen, auch die Bezwingung der Aufklärung durch ihre eigenen inneren Mechanismen in sich birgt – nicht Kräfte außerhalb der Aufklärung bewirken ihre Niederlage, sondern die strukturelle Logik ihrer zivilisatorischen Erzeugnisse.

Gab es einen anderen Weg? Das kann man nicht wissen. Es erübrigt sich auch, dies zu erfragen. Manche werden im Gewordenen die „menschliche Natur“ erkennen wollen. Andere werden behaupten, daß „etwas unterwegs schiefgelaufen“ sei. Wieder andere werden postulieren, daß der Prozess der Zivilisation noch lange nicht zu bilanzieren sei, auch nicht angesichts des „triumphalen Unheils“ einer sich auf die Menschheit zubewegenden ökologischen Katastrophe.

Die Technologie an sich ist „agnostisch“, ihrem Wesen nach neutral

Trotz seines enigmatisch anmutenden Schlusses zeichnet sich Kubricks Film „2001: Odyssee im Weltall“ durch Ambivalenz aus: Er indentifiziert die Gefahren in der fortschrittlichen Zivilisation, welche auf der perfektionierten Technologie basiert und sich auf diese blindlings verlässt, bei der sich gleichwohl herausstellt, daß sie gar nicht eine solche ist (und vielleicht auch nie eine solche sein konnte). Die „verräterische“ Maschine erschüttert sie und erzwingt einen Kampf zwischen Mensch und Maschine auf Leben und Tod. Schachweltmeister Garri Kasparow konnte den Computer beim zweiten Wettbewerbsgang nicht mehr besiegen. Man vergesse aber nicht, dass es Menschen waren, die diesen Sieg der Maschine über ihn ermöglicht haben.

Kubrick inszeniert letztlich einen Sieg des Menschen über den technologischen Golem, und es ist davon auszugehen, dass der Fötus am Ende des Filmes ein fundamentales Bekenntnis zum Menschen meint, einen nie versiegenden Glauben an seiner ewigen Wiederkehr zur Menschlichkeit. Was ist aber andererseits diese Menschlichkeit, deren „Wiederkehr“ und „Sieg“ man wünschen soll? War es nicht sie, die das verursacht hat, was wir heute fetischistischerweise der „Maschine“ zuschreiben?

Man muss es klar ausprechen: Die Technologie an sich ist „agnostisch“, ihrem Wesen nach neutral – alles, was sie anrichtet, resultiert einzig aus dem Wirken des Menschen, das Ergebnis der von ihm vollzogenen Aktivierung der Technologie. Im Guten wie im Bösen ist der Mensch – als Einzelner oder als Kollektiv – Subjekt der Zivilisation; allein in seinen Händen liegt es noch immer, die Auswirkungen dessen zu verändern, dass „die vollends aufgeklärte Erde […] im Zeichen triumphalen Unheils“ strahle. Stanley Kubricks genialer Film verweist auf diese Möglichkeit, zumindest in der latenten Botschaft, die sich seinen cinematographischen Bildern und Aussagen entnehmen lässt. Er ist in dieser Sache nicht allzu dezidiert – auch darin ist er vorbildlich.

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