Klezmer in Israel

Jüdische Klezma-Musiker von Rohatyn, Ukraine, 1912.Bild: gemeinfrei

Klezmermusik ist in Deutschland außerordentlich beliebt. Sie genießt geradezu Kultstatus. Zuweilen will es scheinen, als begriffe man ihre Wertschätzung und Pflege als eine Art kultureller Wiedergutmachung der Deutschen am jüdischen Volk.

Merkwürdig ist daran, dass Klezmermusik in Israel ganz anders kodiert ist, daher auch einen gänzlich anderen kulturellen Stellenwert einnimmt. Den allermeisten Israelis gilt Klezmermusik („klezmer“ ist der jiddisch mutierte Ausdruck für das hebräische „kli semer“ bzw. „klej semer“ im Plural, Generalbegriff für „Musikinstrumente“) als Musik des alten osteuropäischen Stetl-Judentums, vergleichbar etwa mit kulturellen Erzeugnissen vormoderner Dorf- oder Straßenmusikanten. Das war sie auch, und deshalb avancierte sie gerade in Israel zum Gegenstand eines anhaltenden latenten Ressentiments.

Denn insofern sie für das diasporische Stetl-Judentum stand, manifestierte sich unter anderem in ihr eben das, was der moderne politische Zionismus bzw. die von ihm geschaffene und propagierte neuhebräische Kultur zu überwinden trachtete. Seine Ideologie des „Neuen Juden“ ging mit einem neuen Sprach- und Kulturverständnis einher, das in seiner Unerbittlichkeit der Absetzung und Loslösung von allem, was für diasporisch erachtet wurde, kaum zu überbieten war: Nirgends erfuhr Jiddisch, die Sprache der Juden Osteuropas, die Schmach gesellschaftlicher und kultureller Exklusion so rigoros wie im prästaatlichen Israel, lange aber auch noch im Israel der Zeit nach der Staatsgründung.

„Hebräer, sprich Hebräisch!“, lautete die Kampfparole der um die Etablierung der Nationalsprache bemühten, puristisch ausgerichteten Sprachideologen. Nirgends war der Habitus osteuropäischer Lebenswelten verpönter als unter den gesinnungsgestählten Sachwaltern des zionistischen „Neun Juden“, die sich der „Negation der Diaspora“ als Matrix ihres Selbstverständnisses verschrieben hatten. Und nirgends wurde eben auch die Kultur jener Lebenswelten abschätziger behandelt, als unter den Protagonisten der zionistischen Kulturrenaissance. Klezmermusik gehörte – unausgesprochen, aber auch unübersehbar – dazu.

Verwertung pseudotraditioneller Bestände

Als eine nicht nur kulturelle Sensation wurde daher die Uraufführung des Musicals „Isch chassid haja“ („Es war einmal ein Chassid“) im Jahre 1968 gewertet. Das Stück basierte auf chassidischem Lied-, Erzähl- und Musikgut, mithin auf Klezmer-Weisen, zeichnete sich aber nicht zuletzt darin aus, dass es als Unterhaltung auf öffentlicher Bühne aufgeführt wurde – zweifellos ein Markstein in der israelischen Handhabung jiddischer (freilich hebräisch aufbereiteter) Kulturtradition.

Das Musical, über 500mal aufgeführt, war nicht zuletzt deshalb ein großer Erfolg, weil es (als „Chassidismus in Jeans“ apostrophiert) ein sowohl junges als auch erwachsenes Publikum anzuziehen vermochte. Bald genug wurde denn dieser neue Umgang mit der Klezmertradition kommerziell ausgeschlachtet und peinlichster kulturindustrieller Praxis unterworfen. Das in den 1970er Jahren florierende „Hassidic Song Festival“, welches dem alljährlichen „Eurovision Song Contest“ an kultureller Erbärmlichkeit in nichts nachstand, hatte sein Ideologisches darin, dass es sich für authentische Traditionspflege ausgab, im Grunde aber nur klischiertesten chassidischen Melos stereotyp nachahmte, poppig aufmotzte und zur schunkelnder Ergötzlichkeit anbot.

Was im ursprünglichen Musical noch zumindest als ehrlicher Versuch gewertet werden mochte, sich jiddischem Musikgut zeitgemäß (wieder) anzunähern, verkam innerhalb eines Jahrzehnts zur konsumatorischen Verwertung pseudotraditioneller Bestände dessen, was man über Jahrzehnte dezidiert beschwiegen bzw. in die Ecke des ideologisch unverträglichen Diasporischen verwiesen hatte.

Aber schon beim Musical hätte man die Stirn runzeln mögen. Denn ungeachtet der Tatsache, dass es an sich nur honorig sein kann, wenn in einem multikulturell strukturierten, auf „Leitkultur“ gleichwohl bedachten Einwanderungsland wie Israel partikulare Kulturtraditionen wahrgenommen werden, handelte es sich im Falle der chassidischen Klezmermusik doch wieder um ein aschkenasisches Unterfangen. Sosehr die Stetl-Kultur im israelischen Zionismus ausgegrenzt bzw. für ein fernes Exotikum erachtet wurde, handelte es sich um einen Kulturbereich, der im großen Ganzen der aschkenasischen Hegemonie in der israelischen Gesellschaft zuzurechnen war. So jedenfalls musste es sich für viele israelische Juden orientalischer Provenienz ausnehmen.

Kulturpolitik: „Orientalische Gesang“ gegen Klezmermusik

Dass dies eine deutliche kulturpolitische Dimension um Inhalt hatte, sollte sich spätestens Ende der 1980er Jahre erweisen, als jüdisch-orientalische Kulturschaffende und Intellektuelle sich lautstark darüber zu echauffieren begannen, dass der sogenannte „orientalische Gesang“, wie sie meinten, „von oben“ bzw. von aschkenasischen Platzhaltern offizieller Machtpositionen systematisch unterdrückt und aus den Sendeprogrammen der Massenmedien offenbar ausgeschlossen wurde. Noch in den späten 1990er Jahren stellte einer ihrer herausragenden Vertreter den „langen Weg“ zur Erlangung eines wahrhaftigen Friedens, der durch die israelische und palästinensische Arbeiter ausbeutenden Betriebe in Israels Kleinstädten und im Gazastreifen führe, auf die gleiche Ebene mit „dem langen Weg, der durch die Keller der Unterdrückung der orientalischen Kultur in den staatlichen und ‚privaten‘ Sendeanstalten führt“.

Nicht, dass sich die jüdisch-orientalischen Wortführer dieses Kulturkampfes spezifisch gegen Klezmermusik als solche ausgesprochen hätten; es ging ihnen ja primär um die Aufhebung ihrer eigenen Unterprivilegierung. Mit der Klezmermusik konnten sie aber ohnehin nichts anfangen. Wenn diese schon dem aschkenasischen Establishment in Israel fremd war (bzw. bei der ideologischen Beschwörung einer untergegangenen jüdischen Welt am staatsoffiziellen Shoah-Gedenktag instrumentell herangezogen wurde), wie ungewohnt und fern musste sie erst in orientalisch-jüdischen Ohren klingen.

Eine nie ausgesprochene, latente Schuld schwingt mit

Der fern-nahe Nimbus der Klezmermusik hatte allerdings (und hat letztlich bis zum heutigen Tage) eine weitere ideologisch konnotierte Ursache. Durfte diese Musik nämlich keine nennenswerte – und wenn, dann eine eher nostalgisch aufgeladene – Rezeption unter den aschkenasischen und überhaupt keine seitens der orientalischen Juden Israels erfahren, so hatte sie sich umso lebendiger im orthodox-religiösen aschkenasischen Bereich der Bevölkerung erhalten, dessen ultraorthodoxer Anteil ja bis zur Gegenwart ein Gemeinde- und Gemeinschaftsleben führt, welches in vielen seiner Erscheinungen stark an das alte osteuropäische Stetl-Judentum erinnert.

Da nun das (ultra)orthodoxe Judentum aus theologischen Gründen nicht- bzw. antizionistisch ausgerichtet ist, wurde es im Laufe der Jahrzehnte zunehmend zum Gegenstand des Ressentiments, ja eines ausgewachsenen Hasses seitens vieler zionistischer Israelis erhoben. Einiges kommt hier zusammen: Die Orthodoxen werden als „parasitär“ beschimpft, weil sie auf Staatskosten lebten, angefeindet, weil sie keinen Militärdienst zu leisten brauchen, gehasst, weil sie bei der im ganzen Land erklingenden Sirene am Shoah- bzw. am Gefallenen-Gedenktag oft nicht stramm stehenbleiben (für sie hat diese Norm nichts mit genuinem jüdischen Gedenken zu tun) oder zuweilen sogar schwarze Fahnen am Unabhängigkeitstag heraushängen.

Nicht ausgeschlossen aber, dass sich in diesem Ressentiment etwas Anderes sedimentiert hat: Denn Aussehen und Habitus dieser Juden und ihrer Lebenswelten gemahnen ja an das, was der Zionismus zu überwinden ausgezogen war, und man beging, so besehen, in der Tat eine Art historischen „Vatermords“ am halachischen Judentum. Eine nie ausgesprochene, latente Schuld schwingt da mit: Hatte man nicht zum ideologischen Feind erklärt, wen die Nazis späterhin physisch auszurotten begannen? Erinnern die heutigen orthodoxen Juden in ihrer schieren Erscheinung nicht auch an die eigenen Großeltern, die man in der Shoah verloren hatte? Die Klezmermusik ist eines der kulturellen Signifikanten dieser untergegangenen Welt, die man aus verdrängter Schuld gleich mitverdrängte. Gerade mit den Orthodoxen erzwingt das Verdrängte jedoch ab und an seine Wiederkehr.

Und da sind noch die Nationalreligiösen, Abkömmlinge des orthodoxen Judentums, die aber ihren ideologischen Frieden mit dem Zionismus so eng geschlossen haben, dass es sie waren, die nach dem Junikrieg von 1967 die Hauptkontingente religiös-idealistischer Siedler stellten, mit deren alsbald expansiven Kolonisationswerk das Unglück der nunmehr über 50 Jahre währenden Okkupation begann. Bei ihnen hat sich Klezmermusik als kulturelles Residuum einer orthodoxen Vergangenheit, zu der man das ambivalente Verhältnis einer Absage ans Diasporische bei gleichzeitiger Affinität zu seinen alten kulturellen Traditionsbeständen wahrt, erhalten. Ihre enthusiasmierten Selbstvergewisserungs- und Selbstbefeuerungsgesänge, bei denen Bibel-, Talmud- und Psalmtexte klezmerisch aufbereitet, mitunter markige Ideogeme der angeblich berechtigten Herrschaft über die besetzten Gebiete perpetuiert werden, hören sich nicht nur für linke israelische Ohren provokant, sondern auch für die allermeisten Juden Israels zumindest befremdlich an.

Das will wohlverstanden sein: Im Zuge der auch Israel seit den 1970er Jahren überschwemmenden, pop-, rock- oder sonstwie beseelten Kulturindustrie war das Schicksal dieser jiddischen Folklore ohnehin von vornherein besiegelt, wie sich denn Folklore überall in der Moderne dem Verdikt des objektiv Anachronistischen ausgesetzt sah. Heutige TV-Sendungen bayerischer „Volksmusik“ als lebendige Kulturveranstaltung sind ja ein Widerspruch in sich selbst. Im Fall der Klezmermusik lag aber die ideologische Konnotation des Obsoleten in der inneren Strukturlogik des Zionismus und der sich auf seiner ideologischen Grundlage herausbildenden israelischen Gesellschaft. Das mag der Beliebtheit von Klezmermusik in Deutschland ihren unschuldigen Charme verleihen, zugleich aber vielleicht auch ihrerseits auf eine spezifisch deutsche Neuralgie verweisen.

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