95 Prozent: Die fragwürdigen Wirksamkeitsangaben der Impfstoffe

Sars-CoV-2-Viren. Bild: NIAID

Verbreitet werden nur die viel versprechenden und kaum vergleichbaren relativen Risikoreduzierungen von 90 Prozent und mehr, die absolute Risikoreduzierung bewegt sich hingegen um ein Prozent.

 

Mit der Impfung wird alles gut, heißt es vielsprechend. Angeführt wird die Effektivität der Impfstoffe. Unter 90 Prozent geht da kaum etwas. Die mRNA-Impfstoffe Biontech und Moderna sollen eine Wirksamkeit von 95 Prozent bieten. Das heißt, bei den zweimal Geimpften ist die Wahrscheinlichkeit, an Covid zu erkranken, um 95 Prozent geringer als bei den Ungeimpften. Das RKI geht davon aus, dass der Impftstoff von AstraZeneca eine Wirksamkeit von 80 Prozent hat, also schon weniger gegen eine Covid-Erkrankung schützt.

Für die mRNA-Impfstoffe bietet das RKI zur Veranschaulichung ein Beispiel an:

„Man stelle sich vor, in einer Gegend mit vielen aktiven COVID-19-Fällen treten etwa 20 Fälle je 1000 Personen auf. Würde in dieser Gegend dann ein Teil der Bevölkerung geimpft werden, würden nachfolgend noch 20 von 1000 ungeimpften Personen an COVID-19 erkranken, aber nur etwa 4 von 1000 geimpften Personen. Wenn also eine mit dem Impfstoff von AstraZeneca geimpfte Person mit dem Erreger in Kontakt kommt, wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erkranken.“

Es ist schwierig, hier genau zu wissen, was gemeint ist. Bei den 20 Fällen pro 1000 handelt es sich offensichtlich um eine Inzidenz, aber es ist nicht klar, ob damit 20 Fälle pro 1000 Getestete gemeint sind oder ob es sich um 20 Getestete pro 1000 Menschen (mit einer entsprechenden Dunkelziffer oder Wahrscheinlichkeit) handelt.

Deutlich aber wird, dass mit dem Beispiel auf den ersten Blick  die Werte für den absoluten Schutz geringer zu sein scheinen, als dies die 80 Prozent nahelegen, nämlich statt 2 Prozent Wahrscheinlichkeit an Covid zu erkranken, haben die Geimpften nur noch eine Wahrscheinlichkeit von 0,5 Prozent. Die Schutzwirkung wird von den Klinischen Studien der Hersteller der Impfstoffe abgeleitet, die allerdings mit unterschiedlichen großen und zusammengesetzten Gruppen von Versuchspersonen und mit unterschiedlichen Protokollen arbeiten, so dass ein wirklicher Vergleich zwischen den 95 Prozent von Moderna und den 95 Prozent von Biotech nicht einfach ist. Zum Vergleich: In der Kalenderwoche 18/2021 warten 10,31 Prozent der Getesteten positiv

Eine Schutzwirksamkeit von 95 bzw. 80 Prozent nach einer Impfung zu haben, bedeutet nicht, dass das Infektionsrisiko bei 5 bzw. 20 Prozent liegt. Das wäre nur so, wenn das Infektionsrisiko ungeimpft 100 Prozent betragen würde. Die Schutzwirksamkeit ist jedoch relativ und würde in dem RKI-Beispiel absolut 1,5 Prozent betragen, die relative Risikominderung  liegt bei 75 Prozent, also nahe den 80 Prozent für Astra, wenn ich das richtig sehe (liebe Leser, bitte um Korrekturen, falls ich daneben liege).

Wirksamkeit um ein Prozent

Ein am 20. April in der Zeitschrift The Lancet Microbe veröffentlichter Beitrag über die Wirksamkeit der Impfstoffe macht den Unterschied zwischen relativer Risikominderung (relative risk reduction – RRR), die die Infektionsrate von Studienteilnehmern mit und ohne Impfung betrifft, und der absoluten Risikominderung (absolute risk reduction – ARR), die die Infektionsrate mit und ohne Impfung der gesamten Bevölkerung betrifft. RRR wird gerne verbreitet, weil die Zahlen beeindruckender sind. Hier werden für Biontech 95%, für Moderna 94%, für Sputnik V 90%  oder für Astra-Zeneca 67% angegeben.

ARR sind nicht so beliebt, schreiben die Autoren, weil die Zahlen viel niedriger sind (und mitunter bewirken könnten, dass manche auf die Impfung verzichten könnten). Die Reihenfolge verschiebt sich hier:  Astra-Zeneca hat eine Wirksamkeit von 1,3%, Moderna 1,2%, Sputnik 0,93%  und Biontech 0,84%.

Wenn die absolute Risikominderung gerade einmal 1,3 oder auch nur 0,8 Prozent beträgt, kommt man schon ins Nachdenken über die Wirksamkeit der Impfstoffe für die vielen Milliarden, die dafür gezahlt werden. Und natürlich werden dann auch die Risiken einer Impfung möglicherweise anders bewertet.

Man muss allerdings beachten, dass die Infektionsrate sich in der Zeit verändert und Regionen und Schichten unterschiedlich trifft. Je höher das Risiko, desto wirksamer ist ein Impfstoff. Und es gibt noch eine Maßzahl, nämlich die Zahle der Menschen, die noch geimpft werden müssen (NNV), um einen ARR-Infektionsfall zu verhindern. Dann sieht die Wirksamkeit der Impfstoffe noch einmal anders aus: Bei Moderna müssen 76 geimpft werden, um einen ARR-Fall zu verhindern, bei Astra-Zenaca 78, bei Sputnik V sind es 80 und bei Biontech 117.

„Wenn man nur RRR verwendet“, so die Autoren, „und die ARR  auslässt, wird ein Berichts-Bias eingeführt, der die Interpretation der Impfstoffwirksamkeit betrifft.“ Sie betonen, dass die Vergleiche der Wirksamkeit sehr schwierig aufgrund der unterschiedlichen Testverfahren sei. Man wisse auch nicht, ob die Wirksamkeit eines Impfstoffs in einer Bevölkerungsgruppe vergleichbar mit der einer anderen mit unterschiedlichen Hintergrundrisiken ist. Bislang gebe es nur die Ergebnisse aus Israel mit dem Biontech-Pfizer-Impfstoff. Der habe eine relative Wirksamkeit (RRR) von 94%, aber ein ARR von nur 0,46% und ein NNV von sogar 217. Das bedeute, dass 1,8 Personen mehr geimpft werden müssten, als im klinischen Test vorhergesagt, um einen Infektionsfall zu verhindern. Letztlich wird, wenn man die Autoren beim Wort nimmt, von den nicht vergleichbaren Wirksamkeitsangaben, Nebel verbreitet.

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Ein Kommentar

  1. Die mathematischen Zusammenhänge werden richtig angedeutet, aber leider nicht richtig interpretiert.
    Die Absolute Risikoreduktion entsteht als Produkt aus der infektionsbezogenen (= relativen ) Risikoreduduktion und der Wahrscheinlichkeit der Infektion. Sie ist also direkt proportional zur Infektionswahrscheinlichkeit und damit wesentlich ein Ausdruck der pandemischen bzw. epidemischen Situation. Das heißt in der Praxis, dass bei einer Studie, die ganz am Anfang des pandemischen Verlaufes mit geringer Erregerdichte gemacht wird, die absolute Risikoreduktion erheblich geringer ausfällt als bei späteren Studien mit erheblich höheren Erregerdichten und identischer infektionsbezogener Risikoreduktion.
    Eine Pandemie ist aber gerade dadurch gekennzeichnet, dass wir über die Dauer ihres Verlaufs eine Infektionswahrscheinlickeit von 1 haben; was uns deshalb interessiert, ist die Risikoreduktion im Fall der Infektion und nichts sonst, also die RRR.
    Die absolute Risikoreduktion (ARR) und die NNT /NNV(number needed to treat/vaccinate, also wieviele muss ich behandeln, um einen Erfolg zu erzielen) sind als Ausdruck der Kostennutzenrelation bei der Wirksamkeitsuntersuchung von Medikamenten sinnvoll, die zur prophylaktischen Verabreichung für sehr seltene Krankheiten empfohlen werden. Sie bei der Beurteilung der Impfwirksamkeit bei einer Pandemie zu benutzen ist in etwa so sinnvoll, wie in der Beurteilung eines Baggers an der Anzahl der Sitzplätze zu orientieren, weil sich das bei PKWs bewährt hat.

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