Das Smartphone ist zum neuen Heim geworden

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Wir ziehen uns nicht mehr in unsere Wohnungen zurück, sondern in die Räume, die unser Smartphone eröffnet. Ein Heim ist ein räumlich fixiertes Futteral für den verkörperten Menschen, ein Smartphone verkörpert umgekehrt die Person.

Eine Wohnung oder ein Haus ist eine Rückzugsbasis, ein persönlicher Ort, der Schutz verspricht, in den man nur einlässt, wer als Gast willkommen ist, und von dem aus man in die Öffentlichkeit tritt oder auch über Medien nur blickt. Erst das Heim konstituiert die Öffentlichkeit, ein Drinnen und Draußen. My home is my castle. Allerdings ist es über die Medien und die digitale Vernetzung mittlerweile direkt mit der Außenwelt und der globalen Öffentlichkeit verbunden.

Aber wie eine große Studie über den Gebrauch von Smartphones mit dem Titel „The Global Smartphone“ herausgefunden haben will, sind diese in Konkurrenz mit dem räumlichen Heim getreten, in dem wir uns aufhalten. Das Smartphone haben die Menschen immer bei sich und sind damit nicht nur an die Öffentlichkeit angebunden, sondern sie transportieren damit auch ihre Daten mit sich, nicht mehr und nicht weniger als einen wichtigen Teil ihrer persönlichen Geschichte und ihrer Verbindungen mit der Welt.

Das Smartphone, das immer dabei ist, führt endgültig zum Ende der räumlichen Entfernung, aber paradoxerweise auch zum Ende der Nähe, die immer unwichtiger wird. Jederzeit könne eine Person, mit der man zusammen an einem Ort ist, „verschwinden“, um mit einer anderen Person in der Ferne zu sprechen oder zu chatten oder anderweitig in die Tiefen des Cyberspace einzutauchen.  Physisch präsent, ist man dann als Person nicht mehr anwesend. Das kann brüskierend, unhöflich und verletzend sein, demonstriert auf jeden Fall Souveränität gegenüber den räumlich Anwesenden. Besonders wichtig seien Apps wie WhatsApp oder WeChat, sie würden das „Herz“ des Smartphones bilden, weil sie den Kontakt permanenten Kontakt aufrechterhalten oder erst stiften.

Die Innenräume eines Heims, in dem man sich auf Zeit oder auch mit beabsichtigter Dauer niedergelassen hat, sucht der Bewohner bzw. sich die Bewohner durch (gemeinsame, kompromiss beladene) Personalisierung sich zu eigen zu machen, indem man es so gestaltet und mit Gegenständen einrichtet, dass man sich wohlfühlt (und meist auch Gästen gegenüber als erweiterten Körper oder materialisiertes Ich/Wir präsentieren kann, auch ausschnittsweise wie in Zeit von Videokonferenzen). Ein Heim aber bleibt ein räumlich fixiertes Futteral für den verkörperten Menschen, ein Smartphone verkörpert umgekehrt eher die Person.  Man kann ganz gut und auch gerne einmal außer Haus schlafen, wechselnde Unterkünfte beziehen, in unpersönlichen Räumen hausen und auch draußen im Zelt übernachten. Aber mittlerweile fühlen sich viele alleine gelassen, wenn sie ohne ihr Smartphone sind oder auch, wenn es keine Verbindung zum Internet hat. Dann fehlt mehr als ein Zuhause.

Die Wissenschaftler bezeichnen das Smartphone deshalb als „transportierbares Heim“. Man könne es besser verstehen, „wenn man es als Platz begreift, in dem wir leben, statt als ein Gerät, das wir nutzen“. Es sei das erste Objekt, das das Heim – aber auch den Arbeitsplatz – in Frage stellt, wenn man die Zeit berücksichtigt, wo wir uns aufhalten, wenn wir wach sind. Wohnungen sind in Zimmern unterteilt, Smartphones in Apps und Funktionen. „Wir sind in unserem Smartphone immer ‚zuhause‘. Wir sind zu menschlichen Schnecke geworden, die unser Heim in unseren Taschen tragen.“ Zudem ist es eine Art Türe zu verschiedenen Welten und damit auch ein Transportmittel.

Die Besitzer behandeln das Smartphone „auf viele Weise als einen heimischen Raum“, das aber ist durchlöcherter und fragiler als ein gebautes Heim, in dem man sich noch nicht lange zurück in der Vergangenheit vom Außen zurückziehen und einschließen kann. Vielfach wird vom Partner über Freunde bis hin zu Arbeitskollegen und zum Arbeitgeber erwartet, jederzeit ansprechbar, an der langen Leine zu sein, virtuell nicht zu verschwinden.

Das Smartphone erlaubt und erleichtert nomadische Existenzen, häufigen Orts- und Wohnungswechsel, flexible Arbeitsverhältnisse, ein Leben als Single, den Zusammenhalt von räumlich zerstreuten Familien und Gruppen oder auch die Migration. Der Rückzug ins Smartphone oder das Smartphone als Heim ist aber auch die Folge von Lebensverhältnissen, aus denen Dauer und Stabilität verschwindet. Abgesehen von den Erben, können sich gerade viele jungen Menschen kein Wohneigentum mehr leisten und wissen nicht, wo und wie sie in nächster Zeit, geschweige denn im Alter leben werden. Es sei daher nicht überraschend, schreiben die Autoren, wen sie “ eine Bindung an das einzige Heim, das sie sich leisten können, entwickeln, ein Heim, das ihnen zumindest einen Ort bietet, an dem sie immer sein können, mit einer Adresse, die fixiert ist und zu ihnen gehört“.

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