Impfung besiegt dritte Welle

Bild: Robin Müller/CC BY-SA-3.0

Modellrechnungen zur Corona-Pandemie

Zuverlässige neutrale Prognosen zur Entwicklung der wichtigsten Corona-Kenngrößen wie Inzidenzen für die Infizierten, Todesfälle und Belegung von Intensivbetten mit COVID-19-Patienten sind von großer Bedeutung. Ausgerechnet das Robert-Koch-Institut (RKI) hat sich eine katastrophale Prognose geleistet, als man für Mitte April eine 7-Tage-Inzidenz von 350 voraussagte (Siehe Abbildung 13, Seite 15, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19) vom 12.03.2021). Diese Voraussage entspricht einem Fehler von 100%. Derartige extreme Fehleinschätzungen dürfen einem führenden Institut nicht unterlaufen. Man könnte fast meinen, es würde sich um bewusste Panikmache handeln. Die Qualität eigener Modelle muss man immer wieder anhand der realen Werte überprüfen.

Auf der Internetseite covid19forecasthub.eu sind eine Vielzahl von Prognosen zusammengestellt, die – wie auch unsere eigenen Vorhersagen – deutlich besser als die des RKI sind. Die dort veröffentlichten Ansätze namhafter Institutionen (aus Deutschland u.a. Helmholtz, Fraunhofer und Max Planck) sind sehr vielfältig. Häufig vertreten sind die aus der Epidemiologie bekannten SEIR-Modelle, die mithilfe einer größeren Anzahl von Schätzgleichungen und Variablen die medizinische Theorie weitgehend abbilden. Zentraler Parameter ist dabei der R-Wert.

Nach unseren Erfahrungen insbesondere im Wirtschaftsbereich sind solche Ansätze aber meistens nicht so erfolgreich in den Voraussagen wie reine Prognosemodelle. Daher benutzen wir mit dem doppelt-exponentiellen Gompertz-Modell eine rein datengetriebene Methode ohne Bezug auf den R-Wert, um die Dynamik der Zeitreihen möglichst direkt zu verarbeiten.

Unter den mehr als 20 internationalen Vertretern arbeitet eine spanische Forschungsgruppe der Universität Politècnica de Catalunya mit einem ähnlichen Ansatz und ist damit wie wir im oberen Bereich der Prognosequalität für Infizierte und Todesfälle in Deutschland platziert, wobei Voraussagen für ein bis vier Wochen verglichen werden.

In der Abbildung 1 sind die 7-Tage-Inzidenzen für die Infizierten abgebildet. Man erkennt die starke Verzerrung über Ostern (4. April), die daher rührt, dass man in den beiden Wochen vorher und nachher jeweils etwa 250 000 PCR-Tests weniger durchgeführt hat. Wenn man eine Rate von 10% für Neuinfizierte pro Test unterstellt (entspricht einer Positivrate von etwa 12%), hat man bei 25.000 zusätzlichen Infizierten eine Unterschätzung der Inzidenz von knapp 30. Danach folgt wie in Abbildung 1 ersichtlich eine entsprechende Nachholreaktion. Ähnliches wird sich Pfingsten wiederholen.

Bei der Modellierung mit dem Gompertz-Ansatz gibt es für die Beschreibung einer Welle vier Phasen, die in Abbildung 1 veranschaulicht werden. In Phase 1 (etwa 15. Februar bis 10. März) wachsen die Werte nur langsam. Danach erfolgt in Phase 2 (11. März bis 26. April) eine starke (exponentielle) Beschleunigung des Anstiegs bis zum Maximum. In Phase 3 (27. April bis Ende Juni) ist der Rückgang der Infektionszahlen ebenfalls exponentiell. Dieser dritte Abschnitt dauert bei den meisten Wellen etwas länger als der zweite und wird durch die Gompertz-Funktion passend abgebildet. In Phase 4 (ab Juli) sind nur noch geringe Reduktionen zu erwarten und die Kurve nähert sich einem (fiktiven) Grenzwert. Diese vierte Phase der alten Welle kann in die erste Phase einer neuen Welle übergehen, wie man es in Phase 1 in Abbildung 1 erkennt, die aus der vierten Phase der zweiten Welle hervor geht.

Das geschätzte Prognosemodell taxiert das Maximum der dritten Welle auf den 28. April (17. Kalenderwoche), was korrekt erscheint. Für die nächsten Wochen werden deutlich fallende Inzidenzen erwartet, wie man aus Tabelle 1 ersehen kann. Dabei sind die Messwerte der Johns Hopkins Universität bis zum 21. Mai verwendet worden, um die Verzerrungen wegen Pfingsten zu vermeiden. Die Zahlen des Robert[1]Koch-Instituts sind (meistens) etwas kleiner. Da die registrierten Infektionszahlen abhängig von der Anzahl der wöchentlichen PCR-Tests sind, benötigt man noch eine weitere Kenngröße zur Ergänzung.

Gut geeignet ist zum Beispiel die Positivrate, das heißt der Anteil an positiven Tests im Verhältnis zu allen PCR-Tests, gemessen in jeder Kalenderwoche. Wir arbeiten ebenfalls mit der entsprechenden Rate der Neuinfizierten (siehe Neuinfizierte pro Test – eine zweite Maßzahl als Ergänzung zu R), die etwas unterhalb der Positivrate liegt. Die Positivrate ist bis zur 15. und 16. Kalenderwoche auf jeweils 12.4% gestiegen. In den nachfolgenden drei Kalenderwochen sinkt sie auf 11.2% sowie 10.3% und 8.3%. Sie erreicht nunmehr den gelben Bereich, der nach unseren Analysen zwischen 4.5 und 9% geschätzt wird. Analoges gilt für die Rate der Neuinfizierten. Das ist eine zusätzliche Bestätigung für das Erreichen des Gipfels der dritten Welle Ende April, bei einer maximalen Inzidenz von 175.

Diese positiven Entwicklungen Anfang Mai können noch nicht von der am 23. April eingeführten sogenannten Bundesnotbremse stammen, da solche Maßnahmen erst nach etwa 10 bis 14 Tagen ihre Wirkung entfalten. Daher ist der Impffortschritt die entscheidende Einflussgröße. Während im ersten Quartal die Erstimpfquote nur etwa 10% betrug, steigerte sie sich im April um 15%, wird wahrscheinlich im Mai weitere 20-25% erreichen und somit Ende Mai bei etwa 45% stehen.

Als Verstärkung[1]des Argument für unsere These von der Hauptwirkung durch die Impfungen soll auf die parallele Entwicklung in Großbritannien (GB) hingewiesen werden. Der Schwellenwert von etwa 20-25% Erstimpfungen in der Bevölkerung wurden im Vereinigten Königreich Mitte Februar und in Deutschland (DE) Ende April erreicht. Danach sind in Großbritannien die Werte für die Infizierten und die Todesfälle deutlich gefallen und seit Anfang April sind die Inzidenzen klar unter 50. Zusätzlich hatte Großbritannien im Februar sogar einen stärkeren Lockdown als wir heute (Stringency Index bei worldometer : GB Mitte Februar 88, DE Anfang Mai 75).

Unsere Modellprognosen sind somit durch die beiden zusätzlichen Begründungen abgesichert. Im Juni werden die Inzidenzen wahrscheinlich klar unter 35 fallen. Man vergleiche dazu Tabelle 1. Wenn sich das Impftempo durch die Einbeziehung der Haus- und Betriebsärzte und bei ausreichender Impfstoffversorgung noch erhöht, könnten sich die Inzidenzen sogar noch schneller verringern.

Auch die kürzlich vom RKI veröffentlichte Prognose für die Intensivbettenbelegung mit COVID-19-Patienten ist nicht gelungen (siehe Abbildung 8, Seite 10, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19) vom 23.04.2021). So wird darin für den 6. Mai eine Prognose von 6000 mit steigender Tendenz angegeben. Tatsächlich lag der Wert zu diesem Zeitpunkt bei 4 700 mit fallender Tendenz. Wie bei der missglückten Prognose für die Inzidenzen sind auch diese Werte viel zu hoch und könnten Besorgnisse in der Bevölkerung verbreiten, dass das Gesundheitssystem zusammenbrechen könnte.

Unsere Prognosen sind in Abbildung 2 dargestellt. Der Höhepunkt der dritten Welle liegt nach dem Modell am 25. April bei etwa 5100. Danach folgt ein relativ starker Abfall bis auf etwa 2550 Ende Mai (von insgesamt etwa 34.000 insgesamt verfügbar gemeldeter Intensivbetten inkl. Notfallreserve, siehe Zeitreihe). Somit wird das Maximum der zweiten Welle mit 5750 vom 2. Januar deutlich unterschritten.

Die Zeitreihe der wöchentlichen Todesfälle folgt den Inzidenzen mit einem Verzug von ungefähr drei bis vier Wochen. Ende April bis Anfang Mai stagnierten die Werte zwischen 1600 und 1700 und werden danach langsam abnehmen bis zu einer Wochensumme von 1050 (Tagesdurchschnitt 150) Ende Mai. Jedenfalls sind sie sehr weit vom Maximum der zweiten Welle mit 6270 Anfang Januar (Tagesmittel 900) entfernt. Diese extrem starke Reduktion hat ebenfalls hauptsächlich das erfolgreiche Impfkonzept bewirkt, indem die besonders vulnerable Gruppe der über 80-Jährigen zuerst geimpft worden ist. Dieser Sachverhalt wird durch die Änderung des mittleren Alters auf den Intensivstationen bestärkt, der in der zweiten Welle bei mehr als 80 Jahren und jetzt in der dritten Welle bei 64 Jahren liegt.

Diese insgesamt sehr erfreulichen Prognosen, die wesentlich durch die erhöhten Impfquoten zustande kommen, lassen natürlich Lockerungen zu. Allerdings sollten diese mit einer höheren Anzahl an Tests kontrolliert werden. Wir alle sollten weiter durch umsichtiges Verhalten die künftige Entwicklung unterstützen mit dem Ziel, dauerhaft kleine Werte bei nur noch geringen Einschränkungen zu erreichen.

Die Bevölkerung hat sich in den fünfzehn Monaten seit Beginn der Pandemie weitestgehend vorbildlich verhalten. Das kann nicht in gleichen Maße über die politischen Entscheidungsträger gesagt werden, weil deren Bilanz nur mittelmäßig ausfällt, wie ein internationaler Vergleich (siehe The Covid Resilience Ranking, Bloomberg, 25.05.2021) zeigt (in der Weltrangliste steht Deutschland dort aktuell auf Platz 28.)

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