Wir stehen vor einem kulturellen Umbruch der Kulturtechnik Lesen, die mit der Erfindung der Schrift begann und über den Buchdruck in die Digitalisierung mündete: Mit den »Sprachmodellen« der lernenden Künstlichen Intelligenz treten neben die Menschen plötzlich unmenschliche maschinelle Leser, die alle Texte rezipieren und zu neuen Texten verarbeiten können. Sie lesen Texte als binär codierte Informationsströme und verstehen das Geschriebene nicht, sondern lernen eine wahrscheinliche Wortkombinatorik - aus der trotzdem Unerwartetes geschehen kann. Florian Rötzer wagt eine Nachlese und beantwortet die Frage, ob KI die menschlichen Leser*innen verdrängt oder ob die Kulturtechnik des Lesens durch die neuen Einflüsse nur revolutioniert wird.
Florian Rötzer, geb. 1953, ist studierter Philosoph und beim Online-Magazin Overton tätig. Der freie Journalist arbeitete zuvor u.a. bei der taz, der Süddeutschen Zeitung und Frankfurter Rundschau sowie beim Bayerischen und Hessischen Rundfunk. Neben seiner publizistischen Tätigkeit mit den Schwerpunkten Medientheorie und -ästhetik, organisiert er zahlreiche internationale Symposien. 1996 hat er mit Telepolis eines der ersten deutschsprachigen Online-Magazine mitbegründet und war dort bis Ende 2020 Chefredakteur. Unter seiner Leitung erhielt Telepolis den Europäischen Preis für Online-Journalismus in der Kategorie Investigative Reportage (2000) sowie den Grimme Online Award in der Kategorie Medienjournalismus (2002) und den Lead Award für spezialisierte Onlinemagazine (2004).